Ihre Frage
Was kann man tun, wenn die Motivation in der Schule durch Unterforderung sinkt?
Wir haben drei Experten aus Wissenschaft, Praxis und einer Beratungsstelle um eine Antwort gebeten. Erhalten haben wir eine breite Auswahl an hilfreichen Tipps für Lehrkräfte und Eltern.
Das sagt die Wissenschaft: Prof. Dr. Thomas Götz
So entsteht fehlende Motivation
Grundsätzlich gibt es drei zentrale Ursachen von Langeweile in der Schule:
- Die Thematik oder die aktuelle Tätigkeit wird als unwichtig erachtet
- Unterforderung
- Überforderung
Empirische Studien zeigen, dass alle drei Ursachen in einem klaren Zusammenhang mit Langeweile in der Schule stehen. Dies ist insofern problematisch, als Langeweile wiederum in einem negativen Zusammenhang mit der schulischen Leistung steht. Es ist anzunehmen, dass Langeweile die Leistung reduziert (zum Beispiel durch das Abschweifen der Gedanken oder den Einsatz suboptimaler Lernstrategien) und schwache Leistungen wiederum zu mehr Langeweile führen – insbesondere bei Überforderungslangeweile.
Empfehlungen für Lehrkräfte bei Unterforderungslangeweile
- Aufgaben individualisieren: Durch individualisierten Unterricht sollte Unterforderung und damit auch Unterforderungslangeweile weitgehend verhindert werden. Möglichkeiten bestehen hier zum Beispiel in der Auswahl von Aufgaben mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad oder in der Bereitstellung von Zusatzaufgaben höherer Schwierigkeit, wenn die grundlegenden Aufgaben bereits bearbeitet wurden.
- Komplexität erhöhen: Lehrkräfte können Schüler:innen, die sich infolge von Unterforderung im Unterricht langweilen, dazu anregen, die Komplexität des Stoffes für sich individuell zu erhöhen, indem sie zum Beispiel eigenständig weiterführende und übergeordnete Fragestellungen zur im Unterricht behandelten Thematik entwickeln und durchdenken oder aktiv Bezüge zu anderen Fächern herstellen.
- Bezug zur Lebenswirklichkeit herstellen: Da die Valenz des Stoffes, das heißt dessen wahrgenommene Wichtigkeit, eine zentrale Ursache von Langeweile in der Schule ist, können Lehrkräfte die Schüler:innen dazu anregen, sich Gedanken über die Relevanz des Stoffes für ihr aktuelles, aber auch zukünftiges Leben zu machen. Dies kann die Langeweile infolge von Unterforderung reduzieren – es verringert aber sicherlich auch die Langeweile insgesamt, auch bei überforderten Schüler:innen. Für Unterforderte kann dies besonders hilfreich sein, da sie infolge ihrer Unterforderung über ausreichende kognitive Ressourcen verfügen, um sich intensiv mit der Relevanz des Stoffes auseinanderzusetzen.
Prof. Dr. Thomas Götz
Das sagt die Praxis: Christian Bachmann
Tipps für den Unterricht
Schülerinnen und Schüler lösen dann motiviert Aufgaben, wenn diese ihre Neugierde wecken, sie herausfordern oder wenn sie ihre Interessen, Zugänge und Fähigkeiten treffen. Da Lernende sehr unterschiedlich sind, ist es schwierig, Motivation bei vielen oder allen zu wecken, solange alle dasselbe machen. Bei fehlender Passung sind die Schülerinnen und Schüler entweder unter- oder überfordert, oder der Zugang passt einfach nicht zu ihrer Herangehens- und Denkweise, die Aufgabe erscheint dann gegebenenfalls belanglos.
Grundsätzlich wäre die Antwort auf die Problematik eine Vielfalt an Aufgaben und Herangehensweisen, so dass jeder Schüler und jede Schülerin sich zwischendurch im individuellen Lernverhalten gestützt sieht. Ich würde ein mögliches Vorgehen in drei Prototypen gliedern:
- Motivierende Formate nutzen: Manchmal sind Inhalte in einer bestimmten Form und Reihenfolge hilfreich und brauchen Rituale, alle machen also dasselbe. Hier kann ein motivierender Rahmen vielleicht helfen. Das kann eine motivierende Anschlussaufgabe (spielerisch, kollaborativ, experimentell usw.) sein, das Gestalten von Wissensabfragen als Quiz, das Integrieren von Inhalten in ein BreakoutEdu, das unterschiedliche Lerntypen anspricht und hohen Aufforderungscharakter hat. Hilfreich kann hier auch die Möglichkeit sein, dass Schülerinnen und Schüler sich (auch) selbst Aufgaben stellen und als Experten oder Expertinnen für bestimmte Aufgaben zum Ansprechpartner für andere werden. Solche Helfersysteme machen die gleiche Aufgabenstellung mehr Lernenden zugänglich.
- Aufgaben öffnen: Das kann in zwei Richtungen geschehen: entweder im Hinblick auf den Unterrichtsgegenstand (Forscherfrage, Projektorientierung, flipped classroom usw.) oder auf das Produkt (Film, Podcast, Meme usw.) – auf jeden Fall aber so, dass unterschiedliche Schülerinnen und Schüler ihre Fähigkeiten in ein gemeinsames Ergebnis einbringen können.
- Unterschiedliche Aufgaben stellen: Nicht alle Lernenden machen dasselbe, sondern sie wählen sich ihren Schwierigkeitsgrad, Gegenstand oder die Art der Umsetzung, zum Beispiel Blütenaufgaben, Fächeraufgaben, Lerntheken, Lerndörfer. Digitale Medien bieten zur Sicherung und gemeinsamen Nutzung vielfältige Möglichkeiten.
Grundsätzlich wäre meine Überzeugung die, dass Aufgaben bei fehlender Passung von Schülerinnen und Schülern nie als befriedigend empfunden, aber durchaus in angemessenem Rahmen akzeptiert werden. Deshalb braucht es zumindest immer wieder Aufgaben, die neugierig machen und die eigenen Stärken und Interessen fokussieren.
Christian Bachmann
Erklärungen der genannten Methoden
BreakoutEdu
Die abgewandelte Form eines »Escape rooms« nutzt den spielerischen Ansatz, bei dem die Schülerinnen und Schüler verschiedene Herausforderungen lösen müssen. Genutzt werden kann zum Beispiel eine mit einem Zahlenschloss abgeschlossene Kiste, die nur durch einen Code geöffnet werden kann. Der Code ergibt sich durch das Lösen verschiedener Aufgaben.
Forscherfrage
Die Schülerinnen und Schüler stellen sich selbst eine Frage, auf die sie die Antwort finden wollen. Die Frage soll so gestellt werden, dass sie in ein Projekt mündet, aber in einem festgelegten Zeitraum beantwortet werden kann. Die Jugendlichen werden damit zu Akteuren ihres eigenen Lernprozesses: Selbstbestimmung ist eine große Motivationsquelle.
Flipped classroom
Beim »umgekehrten Unterricht« erarbeiten sich die Lernenden den Stoff zunächst eigenständig zu Hause, zum Beispiel anhand eines Skripts oder eines Erklärvideos. Im Unterricht wird der Stoff dann geübt und vertieft.
Blütenaufgaben
Komplexe Aufgaben werden bei diesem Aufgabentyp untergliedert in Teilaufgaben. Der Schwierigkeitsgrad sowie der Grad der Offenheit steigen an. Damit kann ein individuelles Lernangebot für die unterschiedlichen Leistungsniveaus in der Klasse gemacht werden.
Fächeraufgaben
Ausgehend von einer Kernaufgabe, die alle Schülerinnen und Schüler bewältigen können, fächert sich die Aufgabe in vielfältige alternative Aufgabenangebote unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades auf, von denen eine festgelegte Anzahl ausgewählt und bearbeitet werden kann.
Lerntheken
Die einzelnen Aufgaben werden an einer zentralen »Theke« ausgelegt. Die Schülerinnen und Schüler wählen selbst aus, welche Aufgaben sie in welcher Reihenfolge bearbeiten wollen. Bei dieser offenen Unterrichtsform können unterschiedliche Niveaustufen und Lerntypen berücksichtigt werden.
Lerndörfer
Das Lerndorf setzt sich aus den verschiedenen Lernhäusern zusammen. Die Inhalte der einzelnen Häuser werden durch die Themen gebildet. Durch diese Visualisierung des Unterrichtsstoffs und der zu erwerbenden Kompetenzen in Häuser und Dörfer erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Überblick über die Lerninhalte, die sie erwarten beziehungsweise über den Lernweg, den sie schon zurückgelegt haben.
Das können Eltern tun: Dr. Michael Wolf
Fünf Tipps für Eltern
Wertschätzenden Dialog mit dem Kind suchen
Wenn Sie als Elternteil bemerken, dass Ihr Kind aufgrund einer bestehenden Unterforderung in der Schule frustriert und demotiviert ist, sollten Sie als erstes das Gespräch mit Ihrem Kind suchen und dabei die Aspekte der wertschätzenden Kommunikation beherzigen.
- Fragen Sie empathisch nach, in welchen Situationen die Unterforderung erlebt wird und wie sich das auf die Motivation auswirkt.
- Hören Sie aktiv zu, indem Sie in eigenen Worten wiedergeben, welche Informationen – vor allem auf der Gefühlsebene – bei Ihnen ankommen. Beispiel: »Ich spüre gerade, dass du richtig verärgert und enttäuscht darüber bist, dass der Stoff in der Schule zu leicht für dich ist.«
- Äußern Sie Verständnis für die Situation des Kindes und zeigen Sie Einfühlungsvermögen, indem Sie versuchen, die Wünsche des Kindes widerzuspiegeln. Beispiel: »Ich glaube, dass du dir wünschst, dass im Fach XY spannendere und herausfordernde Aufgaben gemacht werden.«
Mittels einer wertschätzenden Kommunikation kann das Kind die Erfahrung machen, dass es zumindest von seinen nahestehenden Bezugspersonen verstanden wird. Das stärkt das Selbstbewusstsein und den Selbstwert des Kindes und es trägt mit dazu bei, den bestehenden schulischen Leidensdruck etwas zu reduzieren.
Mit dem Kind nach Lösungen suchen
Begabte Kinder gelangen in ihrer Entwicklung zu der häufig realistischen Einschätzung, dass sie aufgrund ihrer intellektuellen Möglichkeiten selbst gute Lösungen für Probleme produzieren können. Eltern sollten in Anerkennung dieser Kompetenzen und des Autonomiebedürfnisses ihres Kindes im Gespräch eine lösungs- und ressourcenorientierte Vorgehensweise beherzigen. Würdigen Sie zunächst die Kompetenzen und das bereits Geleistete Ihres Kindes. Beispiel: »Wie hast du es bisher geschafft, dem Unterricht zu folgen und mitzumachen, auch wenn es zu leicht für dich war? Welche deiner Fähigkeiten hilft dir besonders, die Langeweile in der Schule auszuhalten?«
Fragen Sie anschließend nach positiven Ausnahmen. Beispiel: »In welchen Fächern oder Unterrichtssituationen hast du weniger das Gefühl unterfordert zu sein? Was ist in diesen Situationen oder Fächern anders?« In einem nachfolgenden Schritt können Sie die Übertragung einer gefundenen Ausnahme auf andere Situationen anregen sowie gemeinsam mit dem Kind wünschenswerte Veränderungen und Ziele formulieren. Wichtig ist dabei, dass Sie nachfragen, was das Kind selbst zur Zielerreichung beitragen kann. Beispiel: »Was könntest du tun, damit sich die Situation im Unterricht verbessert?«
Gespräch mit der Schule führen
Das Erfragen nach positiven Ausnahmen und wünschenswerten Zielen stellt auch eine gute Grundlage für ein Gespräch zwischen Elternhaus und Schule dar. Wenn sich eine Unterforderungssituation – insbesondere über einen längeren Zeitraum – in der Schule einstellt, dann sollte idealerweise auch innerschulisch darauf reagiert werden. Sofern das Kind nicht selbst in der Lage ist, die Klassen- oder Fachlehrkraft auf die Unterforderungssituation anzusprechen und auf die besprochenen wünschenswerten Veränderungen und Ziele hinzuwirken, sollten Sie als Eltern das Gespräch suchen und auf die Problematik aufmerksam machen. Die Lehrkraft ist gegebenenfalls nicht über das Ausmaß der Unterforderung informiert und kann über unterschiedliche Möglichkeiten der Binnendifferenzierung adäquat darauf reagieren.
Kontakt zu Beratungsstellen aufnehmen
Falls ein solches Gespräch ergebnislos verlaufen sollte oder Sie als Eltern sich nicht trauen sollten, ein solches Gespräch mit der Schule zu führen, können Sie sich mit diesem Anliegen an die Schulpsychologie wenden. Die Schulpsychologischen Beratungsstellen arbeiten vertraulich und kostenfrei und haben die Möglichkeit, den Austausch zwischen Elternhaus und Schule wertschätzend zu begleiten und zu moderieren. Ferner sind Schulpsychologinnen und Schulpsychologen auch in der Lage, bei vorhandener Unsicherheit die Höhe der intellektuellen Begabung und somit das Ausmaß an Unterforderung zu diagnostizieren und gemeinsam Ideen für passende inner- wie außerschulische Forder- und Förderbausteine zu entwickeln.
Außerschulische Angebote nutzen
Abseits des Versuchs eine Veränderung im innerschulischen Kontext zu erwirken, können Sie als Eltern auch im außerschulischen Bereich nach passenden Angeboten der Begabungsförderung für Ihr Kind suchen. Dies ändert zwar nichts unmittelbar an der Unterforderungssituation in der Schule, kann dem Kind aber viele zusätzliche intellektuelle Impulse und positive Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen, was zu einer Steigerung der Lebenszufriedenheit führt und einem Motivationsdefizit entgegenwirkt. Im Begabungslotsen sind vielfältige außerschulische Angebote sowohl regional als auch bundesweit hinterlegt (beispielsweise Wettbewerbe, Kursangebote, (Ferien-)Akademien).
Dr. Michael Wolf
Zum Weiterlesen
Arnold, Dietrich, Preckel, Franzis: Hochbegabte Kinder klug begleiten. Ein Handbuch für Eltern. Beltz, 2011.
Brohm, Michaela: Motivation lernen. Das Trainingsprogramm für Schule. Beltz, 2012.
Götz, Thomas: Emotion, Motivation und selbstreguliertes Lernen. Utb, 20172.
Götz, Thomas, Krannich, Maike, Boehme, Katharina Luisa: Langeweile in der Schule. In: Infobrief Schulpsychologie BW des Kompetenzzentrums Schulpsychologie Baden-Württemberg, 18 (1), S. 1-9, 2018. Zum PDF.
Grund, Axel, Steuer, Gabriele: Motivation und Selbstregulation: Theoretische Grundlagen und ihre Anwendung in Lernkontexten. utb, 2023.
Raufelder, Diana: Grundlagen schulischer Motivation. Utb, 2018.
Schlag, Bernhard: Lern- und Leistungsmotivation. Springer VS, 20134.
Schulpsychologie.de: Zur Webseite.
Stellen Sie Ihre Frage!
Wir sind überzeugt
Praxisorientiertes Wissen bei schulischen und außerschulischen Bildungspraktikerinnen und Bildungspraktikern zum Thema Individuelle Förderung unterstützt dabei, dass mehr Jugendliche die Chance erhalten, ihre Potenziale zu entwickeln. Ihre persönlichen Fragen zur Talententwicklung und Talentförderung lassen wir daher von Expertinnen und Experten beantworten und stellen sie hier in regelmäßiger Folge vor.
Und jetzt Sie
Sie haben eine Frage zu Themen der Talententwicklung und Talentförderung, die Sie gerne von unseren Expertinnen und Experten beantwortet haben möchten?
Weitere Angebote im Hybriden Lernraum
Hybrider Lernraum
Das Format »Call your expert« ist Teil des Hybriden Lernraums. Hier finden Sie für Ihre Arbeit in Schule oder an außerschulischen Lernorten Informationen und Praxistipps aus Wissenschaft und Praxis – als Texte, Methoden, Podcasts, Videos oder Workshops.
Sie haben Fragen zu unseren analogen und digitalen Formaten?