Wertschätzende Lernkultur
Mitte der 70er Jahre eröffnete die amerikanische Lehrerin Marva Collins an einem Brennpunkt in Chicago eine Schule für Jugendliche, die dort als nicht mehr beschulbar galten. Marva Collins war jedoch vom Potenzial dieser Schülerinnen und Schüler überzeugt. Am ersten Schultag wurden die Jugendlichen von ihr mit den Worten begrüßt: »Verabschiedet Euch vom Versagen. Willkommen beim Erfolg.« Gleichzeitig machte Collins ihren Schülerinnen und Schülern aber auch klar, dass sie hart arbeiten und lernen müssten: »Success is not coming to you, you must come to it.« Sie ermutigte die Jugendlichen, Verantwortung für sich und ihr Lernen zu übernehmen. Die Lernanforderungen an der Schule waren hoch, wurden aber eingebettet in eine wertschätzende, fehlertolerante Lernkultur: »If you can't make a mistake, you can't make anything.«
Resilienz als Schlüssel
Aus heutiger Sicht würde man Marva Collins' Erfolg mit dem Begriff Resilienz umschreiben: Sie unterstützte ihre Schülerinnen und Schüler darin, zu resilienten Persönlichkeiten heranzuwachsen. Optimismus und Fehlerfreundlichkeit, Lösungsorientierung, persönliche Verantwortungsübernahme, Selbstwirksamkeit und soziale Kompetenzen machen Resilienz aus, beschreibt die Diplom-Pädagogin und Resilienz-Trainerin Simone Kriebs das Phänomen Resilienz. »Der Schlüssel dafür liegt in jedem Menschen selbst. Pädagogen, die Jugendlichen diese Werte vorleben, unterstützen sie in einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung - und vermitteln ihnen grundlegende Ressourcen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Leben.«
Entscheidungen treffen, sich selbst motivieren, Rückschläge aushalten, Emotionen regulieren, Probleme lösen, Ziele erreichen: Junge Menschen brauchen ein Umfeld, das sie bei der Entwicklung solcher Ressourcen unterstützt. In Bezug auf Schule umfasst das eine anregende Lernumgebung und ein gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis.
Nur wenn Schülerinnen und Schüler sich als selbstkompetent wahrnehmen, sind sie immer wieder bereit, sich auf herausfordernde Ziele zu fokussieren und neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren. Anregende, adaptive Lernarrangements helfen Jugendlichen, sich mit grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen: Was kann ich, was interessiert mich, welche Ziele will ich erreichen, wie komme ich dorthin und wer kann mich dabei unterstützen? Wenn die Aufgaben angemessen anspruchsvoll sind, bewirken sie die Entwicklung von Eigeninitiative, Motivation, Ergebnisorientierung und Durchhaltevermögen. Durch Erfolgserfahrungen beim Lernen erleben sich die Schülerinnen und Schüler als selbstwirksam.
Ein besonderer Stellenwert kommt dem vertrauensvollen Schüler-Lehrer-Verhältnis zu. Es ist die sichere Grundlage, damit junge Menschen in der Schule ihre Stärken entfalten und zu resilienten Persönlichkeiten heranwachsen können. Die Pädagogin Simone Kriebs wünscht sich hierfür Schulen, in denen sich Menschen begegnen und unterstützen. Menschen, die sich nicht hinter einer Rolle verstecken, sondern authentisch sind, sich Mut machen und spüren, dass sie Einfluss haben. Diese Vision lebt von Lehrkräften mit einer positiven Grundhaltung, die Stärken statt Schwächen, Teilhabe statt Ausgrenzung, Verantwortung statt Resignation fokussieren.
Wie stark sich eine positive oder negative Haltung von Lehrkräften auf Lernerfolg, Motivation und Angst vor dem Versagen einer Klasse auswirkt, thematisiert eine rezente Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dort analysierten Wissenschaftlerinnen die Einstellungen von Lehrkräften und setzten sie in Korrelation mit den Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler. Sie kamen zu dem Ergebnis: »Wem nichts zugetraut wird, der schafft oft auch nichts!«
Die Haltung, mit der Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler begleiten, beeinflusst nicht nur, wie erfolgreich sie Aufgaben lösen. Sondern eben auch, ob sie zu jungen Menschen heranwachsen, die sich ihrer Stärken bewusst sind und Herausforderungen als Ansporn betrachten. Wie eine Lehrkraft auf ihre Schülerinnen und Schüler zugeht, wie sie ihnen zuhört, mit Fehlern umgeht oder Grenzen setzt – diese Beziehungskultur wird von den inneren Einstellungen geprägt. Zum Beispiel vom wertschätzenden, empathischen Blick auf die individuellen Talente der Kinder und Jugendlichen. Vom Respekt vor Vielfalt und Gelassenheit im gegenseitigen Umgang. Und von der Überzeugung, dass Fähigkeiten und Talente nicht statisch sind, sondern sich entwickeln können.
Das sogenannte dynamische Selbstkonzept oder growth mindset fußt auf der Überzeugung, dass Leistung und – in gewissem Rahmen – Intelligenz sich entwickeln können, wenn Schülerinnen und Schüler daran glauben, dass sie mit Fleiß und Anstrengung bessere Leistungen erzielen werden. Marva Collins formulierte es mit den Worten: »The first thing we are going to do in here, children, is an awfull lot of believing in ourselves.« Den schulisch gescheiterten Kindern gab sie damit einen Bonus mit auf den Weg, nämlich das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten. Marva Collins war mit ihrer Brennpunkt-Schule in Chicago äußerst erfolgreich. So erfolgreich, dass ihre Arbeit als Lehrerin mit Hollywood-Schauspieler und Oscar-Preisträger Morgan Freeman 1981 verfilmt wurde. Als etwas Besonders sah sie sich selbst dabei nie: I’m just a teacher – Ich bin einfach nur eine Lehrerin!
Tipps
Resilienz: Kinder stark machen: Die achtteilige Videoreihe von Resilienztrainerin Simone Kriebs regt mit vielen Informationen, Tipps und Übungen an, in Schule den Fokus auf Stärkenorientierung, Selbstwirksamkeit und positive Beziehungen zu legen.
Ich schaff das! Selbstkompetenzen sind ein wichtiger Persönlichkeitsschlüssel, damit Lernen gelingt. Das Buch »Selbst – Lernen – Können« von Claudia Solzbacher und anderen führt ein in das Thema Selbstkompetenzförderung und verbindet wissenschaftliche Grundlagen mit vielen Beispielen aus Schule und Unterricht.
Fobizz, ein digitales Fortbildungszentrum für Lehrkräfte in den Bereichen IT, Medien und Digitalisierung, bietet eine Online-Fortbildung zum Thema »Stark durch Schule – Resilienzförderung für Schüler*innen« an.
Trainingsaufgabe
Selbstwahrnehmung sensibilisieren: Erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie weniger erfolgreich abgeschnitten haben. Wie denken Sie im Nachhinein darüber: Das lag mir nicht, es war zu schwer, der Zeitpunkt war ungünstig? Oder können Sie etwas Positives, einen Anreiz zur Weiterentwicklung aus der Situation mitnehmen?
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