Feedbackkultur im Schulprogramm
25.000 Euro: Soviel war das »Feedback« wert! Über dieses Preisgeld durfte sich 2018 die Integrierte Gesamtschule Hannover-List freuen. Damit zeichnete die Jury des Deutschen Schulpreises die Feedbackkultur der Gesamtschule aus. Die »Quadratur der Feedbackkultur« ist in Hannover-List Grundpfeiler des Schulprogramms. Was kompliziert klingt, meint ein sorgfältig abgestimmtes pädagogisches Konzept, in dem sich vier Feedback-Puzzleteile zu einem Quadrat zusammenfinden. Die Lernentwicklungsordner gehören dazu, das lernförderliche Feedback und die Lernentwicklungsberichte. Außerdem die sogenannten Lerndialoge, bei denen alle Schülerinnen und Schüler einmal jährlich ein selbst vorbereitetes Gespräch über ihre Lernfortschritte führen – mit ihrer Klassenlehrerin oder ihrem Klassenlehrer sowie ihren Eltern.
Matti Wiemers
Matti Wiemers unterrichtet am Alten Gymnasium in Bremen die Fächer Musik, Geografie und Astronomie. Nicht nur das Thema Feedback ist ihm ein Herzensanliegen: Neben der Arbeit an der Schule ist er als didaktischer Leiter im Bremer Planetarium tätig.
Vier Fragen an Matti Wiemers
Wie sieht gutes Feedback aus? Nehmen wir ein Beispiel aus der Praxis: In einer Klasse werden Gruppenarbeiten verteilt. Eine Gruppe beteiligt sich jedoch nicht am Prozess. Welches Feedback wäre jetzt hilfreich? Oder welches nicht?
Feedback kann in meinen Augen nur dann funktionieren, wenn derjenige, der Feedback erhält, dieses auch annehmen kann. So gesehen kann Feedback nur dann weiterhelfen, wenn die Person, die ein Feedback erhalten möchte, den Feedbackgebenden explizit dazu auffordert. Feedback bedeutet dann immer eine Spiegelung der eigenen, subjektiven Wahrnehmung, die frei von Wertung sein sollte. Der Aspekt der Freiwilligkeit, des proaktiven Fragens nach Feedback und die Wertfreiheit sind für mich die zentralen Aspekte eines guten Feedbacks.
In dem vorliegenden Beispiel sollte die Lehrkraft zunächst ihrer pädagogischen Aufgabe nachkommen und die Gruppe zur Mitarbeit animieren und auffordern. Im Rahmen eines von den einzelnen Gruppenmitgliedern gewünschten Feedbacks kann dann ein Gespräch über die subjektive Wahrnehmung der Lehrkraft während der Gruppenarbeit stattfinden. So verstehe und praktiziere ich Feedback in meinem Unterricht.
Wechseln wir die Perspektive und schauen vom Lehrer- auf das Schülerfeedback. Welche Methoden eignen sich, wenn ich mir Feedback von meiner Klasse einholen möchte? Und wie gehe ich mit dem Ergebnis um – was wären die nächsten Schritte?
Zunächst sollte die Lehrkraft überlegen, vor welchem Hintergrund sie
ein Feedback erhalten möchte. Geht es um eine Evaluation des eigenen
Unterrichts, durch die die Lehrkraft kontinuierlich und mit statistisch
messbaren Kennzahlen den eigenen Unterricht qualitativ verbessern
möchte, so eigenen sich am besten diverse digitale und analoge
Werkzeuge, wie zum Beispiel Fragebögen, die dann nach immer gleichem
Muster ausgewertet werden können. Hier ist möglichst gezielt nach der
Wirkung bestimmter Unterrichtsbausteine zu fragen.
Andererseits möchte ich den Schülerinnen und Schülern aber auch vorleben, dass ich davon profitiere, wenn ich sie nach der subjektiven Wahrnehmung meines Handelns im Unterricht frage und hoffe sie damit zu animieren, das auch in bestimmten Situation angstfrei zu erfragen. Ich mache das im persönlichen Gespräch, wenn ich die Noten bespreche. Da bekommen die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, einen Aspekt mitzubringen, der ihnen entweder besonders gut gefallen hat oder ihnen besondere Probleme bereitet. Damit mache ich gute Erfahrungen.
Individuelles Feedback orientiert sich am Schüler. Gelten für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler andere »Feedbackregeln« als für eher leistungsschwache Jugendliche?
Ich erlebe im Alltag, dass unabhängig vom Leistungsstand jede Schülerin und jeder Schüler von Feedback profitieren kann. In meiner Wahrnehmung ist es dabei sehr wichtig, dass der Feedbackgebende sein Feedback in differenzierter Form und auf einer kommunikativen Ebene gibt, die für denjenigen, der das Feedback erhält verständlich ist. Auch der Tiefgang eines jeden Feedbacks muss angemessen sein. So gesehen könnte man überlegen, ob ein Feedback für einen leistungsstarken Schüler oder eine leistungsstarke Schülerin detaillierter und tiefergehend sein kann, als für eher leistungsschwache Schülerinnen und Schüler. Das ist aber stark von der Situation und der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler abhängig. Auf jeden Fall muss die Fähigkeit, ein situations- und schülergerechtes Feedback geben zu können, geübt werden.
Digitales Feedback, wie geht das?
Auch hier muss man zwischen Evaluation und Feedback unterscheiden. Für eine Evaluation eignen sich digitale Tools auf jeden Fall. Für ein Feedback, das die Spiegelung der eigenen subjektiven Wahrnehmung einer Situation oder Handlung beinhaltet und das im besten Fall zeitnah und situationsbezogen vorgetragen werden sollte, eigenen sich digitale Tools nur sehr begrenzt. Darüber hinaus ist sowohl Feedback geben als auch Feedback bekommen eine sehr persönliche Angelegenheit. Eine Videokonferenz könnte hier ein adäquates Tool sein, da sie ein Mindestmaß an persönlichem Kontakt zulässt.
Tipps
Hattie plädierte dafür, Unterricht durch die Augen der Schülerinnen und Schüler zu sehen. FeedbackSchule macht Schülerfeedback per (kostenpflichtiger) App möglich. Wissenschaftlich begleitet hat das Projekt der Feedback-Experte Professor Klaus Zierer.
Lernförderliches Feedback im Unterricht: Anregungen und Beispiele für eine effektive Rückmeldekultur für die 5. bis 10. Klasse. Von Joscha Falck. E-Book von 2023.
Visible Feedback: Ein gut lesbares und anschauliches Buch zum Thema Feedback von Benedikt Wisniewski und Klaus Zierer, Juni 2018.
Feedback: Das Jahresheft des Friedrich Verlags vom Februar 2019 informiert nicht nur über Grundlagen zum Thema, sondern bietet auch viele praktische Tipps und Methoden.
Trainingsaufgabe
Schulen Sie Ihre Wahrnehmung: Betrachten Sie eine Person, zum Beispiel beim Spaziergang oder in der U-Bahn. Was nehmen Sie wahr? Beschreiben Sie Ihre Beobachtungen. Die Person sitzt sehr aufrecht? Die Person sieht traurig aus? Was ist objektive Beobachtung, was ist subjektive Interpretation?
Wertvolles Feedback
Die Auszeichnung mit dem renommierten Schulpreis zeigt: Ganz einfach ist die Sache mit dem Feedback nicht! Zu oft, zu selten, falsch verstanden, ohne Wirkung: Gutes Feedback zu geben, das den Lernprozess von Schülerinnen und Schülern wirkungsvoll unterstützt, ist ein komplexes Wechselspiel. Klar ist aber auch, dass richtig eingesetztes Feedback den Lernerfolg in hohem Maße beeinflussen kann.
In den Fokus der Aufmerksamkeit rückte das Thema Feedback 2009 durch John Hattie, als er mit seiner Studie Visible Learning empirisch die enorme Bedeutung dieses Instrumentes aufzeigte. Feedback zählt in seiner Rangliste zu den zehn wichtigsten Einflussfaktoren auf den schulischen Lernerfolg. Gleichzeitig verwies Hattie darauf, dass Feedback oft wirkungslos bleibe, weil es sich nicht auf die Kernfragen konzentriere: Hilft Feedback jemandem zu verstehen, was er weiß, was er nicht weiß und wohin der Lernprozess gehen soll? Falsch verstandenes Feedback, so Hattie, könne sogar negative Effekte haben: »Grades or comments with no focus on improvement might interfere with learning.« Hattie, J., Visible Learning: Feedback, 2018.
Zu den großen Missverständnissen, so Hattie, gehört auch, dass Feedback nicht als Bewertungsinstrument gedacht ist: »Praise dissipates the message« – Lob verwässert die Mitteilung! Ein Lob wie zum Beispiel »Das hast Du gut gemacht!« enthält keine Botschaft für den Lernprozess. Feedback dagegen versteht sich als eine Rückmeldung, die sich auf die künftige Weiterentwicklung des Lern- beziehungsweise Lehrprozesses bezieht.
Ein umfassendes Feedbackkonzept sieht alle am Lehr-Lernprozess Beteiligten in der Rolle des Feedbackgebers und -nehmers. Lernende erhalten Rückmeldung von Lehrenden (Lehrerfeedback). Aber auch die Lernenden selbst können umgekehrt den Lehrenden Feedback geben (Schülerfeedback), genauso wie Lehrende sich untereinander (Kollegenfeedback). Wenn Schülerinnen und Schüler ihrer Lehrperson rückmelden, ob sie die Aufgaben verstanden haben oder die eingesetzten Methoden hilfreich fanden, dann helfen diese Informationen der Lehrkraft, ihren Unterricht anzupassen und zu optimieren. Es braucht solche Hinweise, damit Lehrkräfte erfahren können, ob und warum Lernsettings zum gewünschten Lernerfolg führen. Ein weiterer Effekt: Schülerinnen und Schüler fühlen sich ernst genommen, wertgeschätzt und können selbst Verantwortung übernehmen für ihren Lernprozess.
Doch nicht jedes Feedback wirkt motivierend auf die Lernenden. Woran liegt es, wenn Feedback nicht angenommen wird? Es sind individuelle Unterschiede der Lernenden, die Aufnahme und Reflexion von Feedback beeinflussen. Aber auch die Gestaltung des Feedbacks und die Haltung der Lehrkräfte spielt eine Rolle: Bin ich davon überzeugt, dass Feedback ein hilfreiches Instrument ist? Habe ich echtes Interesse an den Rückmeldungen meiner Schülerinnen und Schüler? Bin ich offen für Veränderungen und bereit, mein Handeln zu hinterfragen?
Damit Feedback die Lernenden motiviert und im Lernprozess nachhaltig unterstützt, empfiehlt John Hattie sich an den drei Fragen »Was ist das Ziel? Wie geht es voran? Was kommt als nächstes?« zu orientieren. Regeln für wertschätzende Gespräche, Vorschläge für die Gesprächsführung sowie Methodensammlungen sind eine wertvolle Hilfe für die Durchführung von Feedback. Wichtig ist, nicht aus den Augen zu verlieren, dass Feedback nicht mit der erhaltenen Rückmeldung endet. Das Feedback muss ausgewertet und die nächsten Entwicklungsschritte festgelegt werden. Feedback meint einen komplexen Prozess von »Feedback geben, erhalten, analysieren und umsetzen«.
Gelingt es, über das einzelne Klassenzimmer hinaus, in der Schule eine Feedbackkultur zu etablieren, trägt dies entscheidend zur Schulentwicklung bei. Denn dann führt Feedback auch zu einer veränderten Kommunikationskultur und einem von gegenseitigem Vertrauen geprägten Lern- und Arbeitsklima in der Schule. Bei allen Beteiligten führt dies zu mehr Zufriedenheit, Motivation und Veränderungsbereitschaft.
Die Integrierte Gesamtschule Hannover-List arbeitet sehr erfolgreich. Es melden sich regelmäßig nicht nur 50 bis 60 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler an, als aufgenommen werden können. Auch die Abschlüsse können sich sehen lassen. Die Hälfte der Schülerinnen und Schüler kommt ohne Gymnasialempfehlung an die Schule. Am Ende erreichen über 70 Prozent den erweiterten Sekundarabschluss I. Ihre Leistungen sind so gut, dass sie in die gymnasiale Oberstufe wechseln dürfen. Der Deutsche Schulpreis beschrieb in seinem Schulportrait die Gesamtschule in Hannover-List als einen Ort, »an dem sich alle wohlfühlen, gut miteinander umgehen und dabei noch viel lernen«. Möglich ist dies auch deshalb, weil Feedback an der Schule ein wesentlicher pädagogischer Schwerpunkt ist.
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