Ihre Frage
Ich möchte in meinem Unterricht Kreativität bei den Schülerinnen und Schülern anregen. Wie kann man Kreativität trainieren und worauf kommt es dabei besonders an?
Antwort von Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Entscheidung! Kreativität ist vermutlich mit das Wichtigste, was man fördern kann. Und damit kann man gar nicht früh genug anfangen. Wenn man sich Kinder anschaut, kann man allerdings den Eindruck bekommen, dass mangelnde Kreativität deren geringstes Problem ist: Aus einem Karton wird ein U-Boot, aus ein paar Stühlen ein Zug, in dem man die Welt bereisen kann. Aber irgendwann im Lauf der Schulzeit scheint dieses unbefangene Ausleben der Ideen verloren zu gehen. Und viele Lehrkräfte haben zur Kreativität ein durchaus gespaltenes Verhältnis. Alle wollen mehr Kreativität – aber wenn sie dann da ist und beispielsweise durch Fragen, die über den Plan hinausgehen, vom Unterricht wegführt, wird sie durchaus auch mal als störend empfunden. Auch scheint es viel zu oft Wichtigeres zu geben – der Lehrplan, der Ernst des Lebens geht vor, denn man geht ja schließlich nicht zum Spaß in die Schule. Kreativität – ja, gerne, aber bitte nicht in meinem Unterricht!
Dass Sie es anders machen wollen, ist daher umso löblicher! Sie sollten sich aber klar machen, dass die Voraussetzungen zur Kreativitätsförderung an einigen Stellen mit Ihrer Sozialisation als Lehrkraft kollidieren können. Die vermutlich wichtigste Eigenschaft, um Kreativität zuzulassen, ist Offenheit – für andere Wege, für vielfältige Lösungen, dafür, vielleicht ganz anderswo rauszukommen, als man anfangs dachte. Also gerade nicht das Finden der einen richtigen Lösung auf dem didaktisch sinnvoll geplanten Weg, auf den man im Laufe von Studium und Referendariat getrimmt wird. Tendenziell sind Lehrkräfte ja auch eher nicht die risikoaffinen Draufgänger, sondern eher von Sicherheitsdenken und Planbarkeit geprägt – das Unvorhergesehene, was ja ein Wesensmerkmal der Kreativität ist, liegt den meisten also nicht unbedingt in der Natur.
Die Fähigkeit, sich verunsichern zu lassen (»Ambiguitätstoleranz« nennt das die Psychologie), hat auch immer etwas damit zu tun, wie gut man Uneindeutigkeit emotional erträgt. Damit tun sich übrigens die meisten Menschen schwer, nicht nur Lehrkräfte! Wenn wir uns im Alltag selbstkritisch beobachten, sehen wir, wie oft wir vorschnell urteilen, ohne alle Informationen zu haben. Und das abzustellen, ist der Erfolgsfaktor sämtlicher Kreativitätstechniken: den »Ideengenerierungsteil« vom »Bewertungsteil« sauber getrennt zu halten. Beim Brainstorming wird das besonders deutlich. Jemand hat eine Idee, erster Kommentar: »Nee, das geht nicht, weil …«. Die Ideengeberin ist frustriert und in der Folge gehemmt. Kein besonders fruchtbarer Boden, auf dem neue Ideen gedeihen! Besser: In der ersten Phase ist jede Idee erlaubt, egal, wie verrückt sie ist. Verboten ist nur Zensur und Bewertung. Das kommt dann im zweiten Teil, wenn es darum geht, aus den vielen Ideen die beste zu finden. Theoretisch lässt sich das mit zwei unterschiedlichen Denkmodi erklären: In der ersten Phase steht das sogenannte »divergente Denken« im Vordergrund, das Möglichkeiten erschließt und die Welt weiter macht. In der zweiten Phase kommt dann das »konvergente Denken« zum Zug, das kritisch abwägt und die Umstände berücksichtigt, um die bestmögliche Lösung zu finden. Also: erst generieren, dann kritisieren! Und dann natürlich auch umsetzen. Aber das ist noch mal ein eigenes Kapitel …
Tipp und Trainingsaufgabe
Tipp
Wie an Schulen die Rahmenbedingungen für Kreativität geschaffen und kreative Fähigkeiten gefördert werden können, zeigt das Buch von Julia Sophie Haager und Tanja Gabriele Baudson »Kreativität in der Schule – finden, fördern, leben«, Springer Fachmedien, 2019.
Trainingsaufgabe
Im Unterricht können Sie Schülerinnen und Schüler gezielt zur »Divergenz« einladen. Was wäre, wenn es auf einmal keine Schwerkraft mehr gäbe? Oder keine Noten? Welche Probleme gibt es in unserer Schule, in unserem erweiterten Umfeld, und was können wir dagegen tun? Wer kann uns dabei helfen? Lebensweltliche Relevanz schafft auch Motivation. Denn schließlich lernen wir nicht (nur) für die Schule, sondern für das Leben.
Wir sind überzeugt
Praxisorientiertes Wissen bei schulischen und außerschulischen Bildungspraktikerinnen und Bildungspraktikern zum Thema Individuelle Förderung unterstützt dabei, dass mehr Jugendliche die Chance erhalten, ihre Potenziale zu entwickeln. Ihre persönlichen Fragen zur Talententwicklung und Talentförderung lassen wir daher von Expertinnen und Experten beantworten und stellen sie hier in regelmäßiger Folge vor. Die heutige Frage wurde von Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson beantwortet.
Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson
Tanja Gabriele Baudson ist Professorin für Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Vinzenz Pallotti University in Vallendar. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Themen Hochbegabung, Kreativität und Intelligenz. 2018 wurde sie vom Deutschen Hochschulverband als Hochschullehrerin des Jahres ausgezeichnet.
tanja.baudson@vp-uni.de Zur PersonStellen Sie Ihre Frage!
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