Vision und Umsetzung einer neuen Lernkultur
Was ist Lernbegleitung?
Lernbegleitung ist ein Begriff, der in der Debatte rund um die Veränderung von Lernen, Bildung und Schule immer häufiger auftaucht. Der pädagogische Ansatz soll Lernende auf ihrem individuellen Lernweg unterstützen und begleiten. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Fachwissen, sondern vor allem um die Förderung der Selbstständigkeit, Motivation und Eigenverantwortung der Lernenden. Lernbegleiter und -begleiterinnen, die diese Rolle übernehmen, stehen den Lernenden als beratende und unterstützende Personen zur Seite. Doch woher kommt der Wunsch nach Veränderung altvertrauter Lernarrangements? Darüber schreibt Juliane Rau, Expertin für selbstorganisiertes Lernen und Lernbegleitung. In ihrem zweiten Artikel geht es um die systemischen Veränderungen, während sich dieser Beitrag mit der praktischen Umsetzung befasst.
Ein Gastbeitrag von
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Die beWirken gGmbH hat sich als Mission »Gemeinsam Schule verändern« gesetzt. Um den Herausforderungen unserer modernen Gesellschaft gerecht zu werden, braucht es einen Lernkulturwandel. Diesen begleitet und gestaltet beWirken mit vielfältiger Expertise und neuen Ideen.
Juliane Rau
Juliane Rau ist ausgebildete Lehrerin, hat sechs Jahre lang an einer Berliner ISS die Fächer Politik/Geschichte und Spanisch unterrichtet. Seit zwei Jahren ist sie für beWirken als Expertin für selbstorganisiertes Lernen und Lernbegleitung in ganz Deutschland an Schulen unterwegs, die sich auf den Weg zu einer zukunftsfähigen Lernkultur machen wollen oder bereits gemacht haben. Entsprechend bringt sie ihre Einsichten, Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Begleitung von Schulen mit, die den Lernkulturwandel mitgestalten. Juliane Rau kennt viele Stellschrauben, Hürden und Erfolgsgeschichten, von denen sie berichten kann.
Warum Lernbegleitung?
Vier Argumente für Lernbegleitung
Darum ist es für Sie sinnvoll, individuellen Lernbedürfnissen mehr Raum zu geben und zukunftsfähiges Lernen zu ermöglichen:
- Lernende auf das Leben und Agieren in der VUKA-Welt vorbereiten: Lernende brauchen neue Fähigkeiten, um mit den Herausforderungen der sich verändernden Welt resilient, aktiv und konstruktiv umzugehen.
- Kompetenzerwerb in den Mittelpunkt von Lernprozessen rücken: Konzepte des selbstorganisierten Lernens befähigen die Lernenden dazu, sich Probleme eigenständig zu erschließen, aus ihnen heraus konkrete Ziele zu entwickeln und diesen strukturiert, selbstbewusst, kreativ und kollaborativ zu begegnen.
- Lernen als zutiefst individuellen Prozess verstehen: Wissenserwerb knüpft an Vorerfahrungen und Erlebnisse an und ist daher ein höchst individueller Prozess. Für Sie als Lehrperson ist dieser Vorgang nicht gänzlich voraussehbar. Sie haben daher nur eingeschränkt Einfluss auf das Lernen Ihrer Schülerinnen und Schüler.
- Diversität und Individualität der Lernenden gerecht werden: Heterogenität ist eine der größten Herausforderungen für Schulen. Es gilt, alle jungen Menschen bestmöglich dabei zu unterstützen, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen, ihre Stärken und Potenziale kennenzulernen und zu nutzen.
Lernbegleitung und selbstorganisiertes Lernen – das ist wichtig
Erst wenn Lernprozesse stärker individualisiert werden, können Sie zum einen Ihre Schülerinnen und Schüler, die besonders darauf angewiesen sind, intensiver unterstützen, und zum anderen die Potenziale und Talente aller Lernenden entdecken und fördern. Das heißt, es braucht eine Lernkultur, die Eigenverantwortung zulässt und Lernen begleitet.
- Kompetenzerwerb: Das Einüben fächerübergreifender Kompetenzen (wie zum Beispiel Selbstlernkompetenz) ist zentral.
- Lernsettings: Problem- und handlungsorientierte Lernaufgaben rücken in den Mittelpunkt.
- Eigenverantwortung: Die Eigenverantwortung für den individuellen Lernprozess, den Lernort und die Ausgestaltung des Lernens wird gestärkt. Als Lehrperson unterstützen beziehungsweise begleiten Sie den Lernprozess, Sie verantworten ihn jedoch nicht.
- Lernziele: Als Lernbegleitung unterstützen Sie die Lernenden dabei, sinnvolle und transparente individuelle Lernziele zu formulieren und diese kontinuierlich zu verfolgen.
- Lerncoaching-Gespräche: Der Lernprozess wird in Einzel- oder Gruppengesprächen reflektiert. Hier arbeiten Sie Stärken und Herausforderungen heraus. Außerdem schärfen Sie gemeinsam, wie es weitergehen kann.
- Lernraum: Als Lernbegleitung stellen Sie Lernenden Rahmen und Struktur für ihre Lernprozesse bereit, in dem sie sich orientieren und selbstwirksam sowie selbstbewusst bewegen können.
Das ändert sich durch Lernbegleitung
Was bedeutet es, Lernbegleitung zu sein?
In offenen Lernsettings, die das Ziel haben, die Lernenden zum selbstorganisierten Arbeiten und Lernen zu befähigen, kommt der Lehrperson eine neue Rolle zu. Im Vergleich zu geschlosseneren Settings entstehen neue Verantwortlichkeiten. Andere fallen weg oder nehmen weniger Kapazitäten in Anspruch.
Aufgabenprofil
Wenn Lernende zu Protagonistinnen beziehungsweise Protagonisten ihres eigenen Lernprozesses werden, nehmen Sie als Lehrperson quasi automatisch die Rolle von Lernbegleitungen ein. Aus dem Aufgabenportfolio einer Lernbegleitung lassen sich verschiedene Rollen ableiten: Lernbegleitungen sind Gestaltende, Moderierende, Input-Gebende, Lernende, Beratende und so weiter. Ausführliche Informationen zu den verschiedenen Rollen finden Sie in diesem Dokument.
Haltung
Lernbegleitung basiert auf einer spezifischen Haltung gegenüber den Lernenden: Die Lernenden mit ihren individuellen Lernbedürfnissen werden in den Fokus gestellt. Begegnungen finden auf Augenhöhe statt. Eine Lernbegleitung versteht sich außerdem immer auch selbst als Lernende beziehungsweise Lernender: Im Sinne des lebenslangen Lernens lernt sie gemeinsam mit und von den Lernenden.
Lernbegleitung zu sein, heißt auch, dass Sie zunehmend Kontrolle abgeben und Wert auf eine Beziehung gegenseitigen Vertrauens legen: Die Lernenden wollen lernen und sie können eigenverantwortlich und selbstorganisiert lernen. Und es wird Ihnen gelingen, Verantwortung abzugeben und die Lernenden in ihren Lernprozessen vorrangig zu begleiten. Nur so kann eine angstfreie Arbeitsatmosphäre kreiert werden. Damit Lernbegleitende positive Beziehungen gestalten können, sind Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Gesprächsführung hilfreich.
Growth Mindset
Das Konzept des Growth Mindset beschreibt die Grundannahme, dass Fähigkeiten und Intelligenz nicht festgelegt, sondern entwickelbar sind. Personen mit einem Growth Mindset blicken auf die Potenziale der Lernenden, wie sie sich verbessern und weiterentwickeln und aus ihren Fehlern lernen können. Statt: »Ich kann das nicht«, würde eine Person mit einem Growth Mindset sagen: »Ich kann das noch nicht«. Diese Grundhaltung hat einen großen Einfluss darauf, was Menschen sich zutrauen, welche Herausforderungen sie annehmen und wie sie mit ihnen umgehen. Es ist wichtig, dass auch Lernbegleitungen Lernenden mit einem Growth Mindset begegnen und sie damit in ihrem Selbstvertrauen, ihrer Selbstwirksamkeit und ihrer Motivation stärken.
Methoden für Lernbegleitung
Methoden für Ihren Unterricht
Die hier aufgeführten Methoden können ganzheitlich zusammengedacht werden oder Sie starten im ersten Schritt mit einer einzigen Methode.
- Lerncoaching: Eine wichtige Aufgabe einer Lernbegleitung ist das Lerncoaching. Denken Sie sich zunächst in die Herangehensweise eines Lerncoaches beziehungsweise einer Lerncoachin ein. Überlegen Sie, wie Sie mit dieser Rolle den Arbeitsprozess der Lernenden produktiv begleiten und unterstützen können. Welches Vorgehen scheint Ihnen dabei sinnvoll?
- Rücken Sie die Entwicklung der Selbstlern- und Problemlösekompetenz der Lernenden explizit in den Mittelpunkt Ihrer Aufmerksamkeit. Aktives Zuhören, Perspektivwechsel (»Was würden deine Freunde oder Freundinnen in dieser Situation tun?«) oder Reframing (Umdeutung der Situation) sind hilfreiche Coachingmethoden. In diesem Blogbeitrag sind die Methoden ausführlich beschrieben.
- Lernportfolio und Lerntagebuch: Es gibt viele Möglichkeiten, Lernen sichtbar zu machen. Schulen fokussieren sich jedoch häufig ausschließlich auf die Benotung von Klausuren. Sie könnten aber auch Formate wie Portfolioarbeit, Lerntagebuch, Projektarbeit oder Problemorientiertes Lernen zur Sichtbarmachung von Lernprozessen einsetzen. Detaillierte Informationen, wie das geht, finden Sie hier.
- SMARTe-Ziele: Es ist wichtig, dass die Lernenden das Ziel ihres Lernprojekts sinnvoll formulieren. Hilfreich ist hierfür die Methode SMARTe Ziele. Sie hilft, die Bedingungen an das Ziel festzuschreiben, es noch schärfer zu umreißen und zu konkretisieren.
- Prozessbegleiter: Damit die Lernenden im Prozess den Überblick über Arbeitspakete, Deadlines und Verantwortlichkeiten behalten, kann neben dem Projekt-Canvas auch die Kanban-Logik hilfreich sein. Beide Tools bieten einen guten Einstieg in diese neue Form des Arbeitens und Lernens.
- Kreativ- und Brainstorming-Methoden: Diese helfen Ihnen und den Lernenden dabei, Kreativität freizusetzen und freies Denken zu üben.
- Fehlerkultur: Auch kann es hilfreich sein, ganz bewusst eine positive und wertschätzende Fehlerkultur einzuführen. Möglicherweise sind die Lernenden blockiert, sich zu beteiligen, weil sie etwas falsch machen, etwas schiefgehen und sie negativ auffallen könnten. Um dem zu begegnen, hilft es von vornherein, transparent über den Umgang mit vermeintlichen Fehlern zu sprechen: »Was für ein toller Fehler. Daraus können wir so viel lernen.« Sie könnten auch das Konzept eines Growth Mindset einführen und besprechen und vor allem mit eigenen Fehlern und Herausforderungen ganz offen umgehen. Mit der Methode Fehler feiern erhalten Sie eine konkrete Anleitung, wie eine positive Fehlerkultur etabliert werden kann.
Impulse zur Selbstreflexion
Schritt 1
Methoden
Es hilft, den Kontext, in dem Sie Verantwortung abgeben und Lernen begleiten möchten, zunächst zu reflektieren und mögliche Methoden anzudenken. Hier helfen folgende Reflexionsfragen:
- Welche konkreten Methoden und Tools erscheinen gewinnbringend in Ihrer Arbeit mit Ihrer Zielgruppe und ihrem Lernen?
- Welche Methoden würden Sie gerne mit Ihrer Zielgruppe ausprobieren?
- Welche Methoden lassen Sie ganz bewusst zurück, weil sie nicht in den neuen Kontext passen, zu voraussetzungsvoll oder zu niedrigschwellig sind?
Schritt 2
Freiräume
Bevor Sie in Ihrem Umfeld das Projekt Lernbegleitung umsetzen, empfiehlt sich eine vorherige Reflexion. Probieren Sie außerdem Methoden zunächst selbst aus, bevor Sie sie in einer Gruppe umsetzen.
- Überlegen Sie, ob es sinnvoll ist, dass Sie sich zunächst auf institutioneller Ebene für einen Systemwechsel einsetzen, bevor Sie Lernbegleitung mit Ihren Schülerinnen und Schülern starten. Das kann hilfreiche Freiräume schaffen. Für einen solchen Schulentwicklungsprozess können die Tools »SMARTe Ziele« und »Projekt-Kanvas« unterstützen, das Vorhaben genauer zu umreißen und anzustoßen. Mit der »Kanban-Methode« kann die Umsetzung gut geplant werden.
- Bereiten Sie Ihre Ideen zur Umsetzung von eigenverantwortlichem Lernen und Lernbegleitung mit Ihrer Zielgruppe vor. Überlegen Sie, welche Freiräume Sie nutzbar machen können. Reflektieren Sie Ihre Rolle in dem Prozess und entscheiden Sie, welche Methoden und Tools Sie in der Begleitung einsetzen möchten. Wie können Sie sie aufeinander aufbauen und anleiten? Arbeiten Sie sich dazu vertiefend in die entsprechenden Methoden ein und bereiten Sie gegebenenfalls Material vor. Folgende Fragen könnten Sie sich stellen:
- Können Sie ganz grundlegend räumliche und zeitliche Freiräume in Ihrer Institution schaffen und zur Verfügung stellen?
- Mit wem muss das abgesprochen werden? Welche Argumente möchten Sie mit in das Gespräch nehmen?
- Welche finanziellen und materiellen Mittel brauchen Sie für Ihr Vorhaben?
- Kann der Freiraum personell begleitet werden? Was brauchen die Lernbegleitungen, um die Freiräume umzusetzen?
- Auf welchem Weg können Sie Ihre Zielgruppe für die Nutzung des Freiraumes gewinnen?
Fortbildung zur Lernbegleitung
»beWirken« bietet Fortbildungen sowie eine mehrteilige Fortbildungsreihe zum Thema Lernbegleitung und selbstorganisiertes Lernen für Schulen und interessierte Einzelpersonen an. Zur Webseite.
Außerdem gibt es regelmäßig Veranstaltungen mit Impulsen zu unterschiedlichen Themen des Lernkulturwandels, von denen Sie über den beWirken Newsletter erfahren. Zum Newsletter.
Zur Kampagne »UnLearn School – Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft« gibt es fünf Episodenfilme zu verschiedenen Aspekten von zukunftsfähiger Transformation von Schule auf der Webseite von beWirken. Die Filme gibt es auch im gleichnamigen Kurs inklusive Teilnahmebescheinigung auf der Plattform des digitalen NELE-Campus (Konzeption: Juliane Rau). Zur Plattform oder direkt zu den Filmen.
Zum Weiterlesen
Arnold, Rolf: Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch-konstruktivistische Didaktik. Carl-Auer Verlag, 2018.
Arnold, Rolf: Wie man lehrt, ohne zu belehren. 29 Regeln für eine kluge Lehre. Das LENA-Modell. Carl-Auer Verlag, 2012.
Beck, Henning: Das neue Lernen heißt Verstehen. Ullstein, 2020.
Holle, Judith; Zierer, Teresa; Adam, Björn: UnLearn School – Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft. beWirken gGmbH, 2023.
Perkhofer-Czapek, Monika: Lernbegleiter/in und Lernbegleitung. In: Begleiten, Beraten und Coachen – Der Lehrerberuf im Wandel (S. 61-97). Springer Fachmedien, 2016.
Sauter, Werner: Der Weg zum selbstorganisierten Lernen, in: Blended Solution’s Blog, 2014. Zum Blog.
Downloads
Hier finden Sie alle Downloads (© beWirken, 2018) zur Begriffsklärung und mit weiteren Informationen zu den jeweiligen Themen. Die Dateien wurden von beWirken freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Sie können Sie entweder direkt öffnen oder gesammelt zu Ihren Downloads hinzufügen.
- Die VUKA-Welt (öffnet einen neuen Tab) PDF | 95 KB
- Die Rollen einer Lernbegleitung (öffnet einen neuen Tab) PDF | 103 KB
- Fixed vs. Growth Mindset (öffnet einen neuen Tab) PDF | 89 KB
- Input zu alternativen Prüfungsformaten (öffnet einen neuen Tab) PDF | 283 KB
- Methode: Projekt-Canvas (öffnet einen neuen Tab) PDF | 219 KB
- Methode: Kanban (öffnet einen neuen Tab) PDF | 189 KB
- Methode: SMARTe Ziele formulieren (öffnet einen neuen Tab) PDF | 122 KB
- Brainstorming-Methoden (öffnet einen neuen Tab) PDF | 110 KB
- Methode: Fehler feiern (öffnet einen neuen Tab) PDF | 101 KB
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