Fokussiert im Flow
Wenn wir in einer Tätigkeit ganz versinken, alles um uns herum vergessen und gar nicht mehr bemerken, wie die Zeit vergeht, sind wir im Flow. Wir fühlen uns dabei gut und kompetent. Und selbst, wenn Flow mehr eine Energieinvestition als ein Entspannungszustand ist, belastet er uns nicht, sondern tut uns gut. Flow beflügelt und belohnt uns. Der Zustand veranlasst uns dazu, ganz fokussiert zu sein. Auch für das Lernen ist das Phänomen Flow von großer Bedeutung, denn es trägt erheblich zu Lernerfolg bei. Die Professorin für Didaktik des Englischen Michaela Sambanis verrät in diesem Beitrag, warum das so ist und wie es gelingt, in den Flow zu kommen – nicht nur beim Sprachenlernen.
Univ.-Prof. Dr. Michaela Sambanis
Die Grundlagen des Flow
Wann kommen wir in den Flow?
Befragt man Menschen nach Situationen, in denen sie in den Flow kommen, dann nennen viele ihre Hobbys oder Sport, das Singen im Chor, Theaterspielen, Diskutieren mit Freunden etc. Manche berichten sogar davon, beim Kartoffelschälen in den Flow kommen zu können. Der Definition zufolge gelingt es diesen Menschen, das Kartoffelschälen als freudvoll oder sogar euphorisierend zu erleben. Freude und Euphorie sind die beiden »signature emotions« von Flow. Entscheidend dafür, ob man einen Flow-Zustand erreicht oder nicht, ist die Passung von Anforderung und Fähigkeiten: Man darf weder unter- noch überfordert werden und die Tätigkeit muss so beschaffen sein, dass bereits erworbene Kompetenzen und Fertigkeiten zur Zielerreichung genutzt werden können. Wer also beim Kartoffelschälen bisher nicht in den Flow gekommen ist, hat möglicherweise noch keine nennenswerten Schälkompetenzen entwickelt. Oder es liegt einfach am stumpfen Kartoffelschäler, mit dem man sich abquält und an jeglichem Flow gehindert wird. Aber genug von Kartoffeln, auch bei anderen Tätigkeiten können wir in den Flow kommen, erfreulicherweise auch beim Lernen. Und das ist in Zeiten hoher Belastung und dem zunehmenden Verlust an Leistungsbereitschaft und Lernfreude wertvoller denn je.
Flow ist ein Lernmagnet
Im Flow-Zustand lernen wir besonders effektiv: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Menschen im Flow erheblich bessere Leistungen erbringen können, so der Psychologe und Flow-Forscher Mihály Csíkszentmihályi. Flow ist ein regelrechter Lernmagnet. Durch die intensive Fokussierung entwickeln wir unsere Kompetenzen effektiv und nachhaltig. Das Flow-Erleben bringt uns dazu, auch an anspruchsvollen Aufgaben dranzubleiben. Und schließlich steigert Flow das Selbstwertgefühl.
»Bright side« statt »dark side«
Flow-Erlebnisse sind wertvoll für Entwicklungs- und Lernprozesse. Wir alle genießen diesen Vertiefungszustand und profitieren davon, denn: Positive Flow-Erlebnisse tragen zum Wohlbefinden bei, ermöglichen intensive Lernerlebnisse, in denen man sich selbst als kompetent wahrnimmt. Flow- Erfahrungen erfüllen damit ein wichtiges Grundbedürfnis. Gelingt es Menschen nicht, positive Flow-Erlebnisse zu machen (»bright side«), dann suchen sie nach Ersatz, manche in Form von negativen Flow-Erlebnissen. Man spricht in diesem Zusammenhang in der Fachliteratur von der »dark side« des Flow. Damit sind Kompensationsversuche gemeint wie unsoziales Verhalten, überhöhte Risikobereitschaft oder Gewaltausübung. Auch Suchtverhalten verschiedener Art, einschließlich Spielsucht und Bildschirmsucht, zählt zu dieser nicht förderlichen Art, mit der Menschen sich selbst und teilweise auch anderen schaden.
Es ist also keineswegs unbedeutend, dass sich Menschen im Allgemeinen, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende im Besonderen als handlungsfähig erleben, ihre Stärken entdecken und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln können – wann immer möglich in einem positiven Flow. Denn in diesem Zustand ist das Kompetenz- und Euphorie-Erleben besonders intensiv und wirkt als eine Schubkraft für weitere Entwicklungen.
Lernende in den Flow bringen
Wie kommen Lernende in den Flow?
Flow lässt sich nicht erzwingen, aber es ist möglich, die Wahrscheinlichkeit, dass Lernende diesen wertvollen Zustand erreichen können, zu steigern:
- Ausschlaggebend ist zunächst die Atmosphäre in der Klasse oder Lerngruppe, in der das Gefühl von emotionaler und sozialer Sicherheit nicht fehlen darf. Verschiedene Übungen aus dem Improtheater können genutzt werden, um miteinander in Kontakt zu kommen und einen entspannten Umgang mit Fehlern zu erreichen, zum Beispiel mit der »Hi, Ha, Ho«-Übung, die Sie im Buch Happy Learning finden können. Zum Aufbau eines guten Klassenklimas können außerdem gemeinsame Dankbarkeitsübungen beitragen. Auch hierzu finden Sie Anregungen in »Happy Learning«.
- Einen weiteren Ansatzpunkt bildet die eigene Atmung und Körperwahrnehmung: Durch kleine Übungen kann eine positive Haltung sich selbst gegenüber unterstützt werden (siehe Übungen für die Praxis). Lernende, die sich in der Schule wohl fühlen, lernen besser, mit mehr Freude und tragen mit ihrer positiven Präsenz auch zum Klima in der Gruppe bei.
- Nicht nur für das Sprachenlernen, sondern für alle sprachbasierten Inhaltsbereiche ist überdies folgende Erkenntnis interessant: Flow-Erlebnisse erhöhen die Sprechbereitschaft und steigern die Sprechfreude. Das ist besonders wertvoll, denn es kann dabei helfen, Sprechhemmungen oder gar Sprechangst entgegenzuwirken. Außerdem nimmt eine gesteigerte Sprechbereitschaft wiederum Einfluss auf den Lernerfolg, schenkt positive Emotionen und stärkt das Selbstbewusstsein der Lernenden. Um das Zusammenspiel von Flow-Erleben und Sprechbereitschaft zu unterstützen, ist die oben schon erwähnte möglichst optimale Passung von Anforderung und Fähigkeiten wichtig. Außerdem begünstigen oft reizvolle Sprechimpulse die Sprechbereitschaft, und schließlich kann durch eine dem Sprechen in der Klasse vorgeschaltete Phase des Probesprechens in Einzel- oder Partnerarbeit Druck abgebaut, Freude und sogar Flow begünstigt werden.
Selbst in den Flow kommen
Wie können wir selbst die Chancen auf Flow-Erleben erhöhen?
Drei Ansatzpunkte bieten sich im Besonderen an:
Zeitlimit setzen
Bei Standardaufgaben, die wir nicht (mehr) als besonders reizvoll wahrnehmen, lässt sich oftmals durch das Setzen eines Zeitlimits dafür sorgen, dass sie wieder zu einer interessanten Herausforderung werden, bei der wir unsere Fähigkeiten nutzen können. Beispielsweise können wir uns für das Aufräumen unseres Arbeitsplatzes ein Zeitlimit setzen und es beim nächsten Mal vielleicht sogar noch unterbieten, natürlich ohne, dass das Endergebnis leidet. Mit ein bisschen Glück bringt uns das in den Flow und die vormals lästige Tätigkeit verliert an Negativität.
Zur Ruhe kommen, Fokus finden
Wir leben in einer sehr »reiz-vollen« Zeit und vielen Menschen, auch jungen Menschen in Schule und Studium, fällt es zunehmend schwer, sich auf etwas zu konzentrieren, ganz fokussiert zu sein. Um in einen Flow kommen zu können, braucht es aber Fokussierung. Es ist also keineswegs nutzlos, sich im Fokussieren und Ausblenden von Unwichtigem zu üben.
In diesem Zusammenhang werden seit einigen Jahren die Schlagwörter Achtsamkeit und Mindfulness verwendet. Sie bilden ein zentrales Konzept der Positiven Psychologie, das heißt dem Bereich der Psychologie, der sich damit befasst, was zufrieden und erfolgreich macht. Mit Achtsamkeit ist eine besondere Art der Aufmerksamkeit gemeint, die auf den gegenwärtigen Moment bezogen ist und ohne Wertung auskommt. Wir fokussieren den Augenblick, achten auf unsere Atmung und beobachten innere und äußere Reize, ohne diese zu bewerten. Erkenntnisse aus der Forschung belegen, dass Achtsamkeit das Stressempfinden reduzieren kann, mit erhöhter Selbstakzeptanz und sogar oftmals mit gesteigertem Glücksempfinden einhergeht. Bei Mindfulness ist die Aufmerksamkeit von zentraler Bedeutung und durch Achtsamkeitsübungen wird unsere Fähigkeit trainiert, den Fokus auf einen relevanten Reiz zu konzentrieren. Genau das ist dann auch zentral bei Flow und so können entsprechende Übungen dazu beitragen, unsere Fokussierungsfähigkeiten zu verbessern und auf diesem Weg unsere Flow-Chancen erhöhen.
Wer regelmäßig Achtsamkeitsübungen macht, beeinflusst schließlich auch die Hirnarchitektur. Das Volumen des linken Hippocampus, einer fürs Lernen sehr bedeutsamen Hirnstruktur, nimmt zu, die Effektivität des Arbeitsgedächtnisses wird gesteigert. Dadurch verbessert sich die Aufnahme von Informationen, insbesondere von sprachbasierten Informationen.
Spaziergänge
Bewegung ist unerlässlich, und zwar nicht nur für die physische und psychische Gesundheit, sondern auch im Hinblick auf Lernfreude und Lernerfolg. Tatsächlich gilt: Besser lernen mit Bewegung!
Seit einiger Zeit wird dem Spazierengehen zunehmende Beachtung geschenkt, in der Forschung ebenso wie in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen wie zum Beispiel Annabel Streets‘ 52 Ways to Walk. Studien haben gezeigt, dass schon ein zwölfminütiger Spaziergang nennenswerte positive Effekte auf Körper und Geist hat, vorausgesetzt man erreicht einen guten Geh-Rhythmus und trödelt nicht. Spazierengehen verbessert die Durchblutung, unterstützt den Stoffwechsel – auch im Gehirn – und hilft beim Stressabbau. Beim Spazierengehen kann das Gehirn gut nachbereiten, Gedanken sortieren, verknüpfen, und, wenn man möchte, auch Neues lernen. Das wussten schon die alten Griechen, die beim Philosophieren zu wandeln pflegten. Spazierengehen ist vor allem auch für das freie Gedankenwandern wertvoll, dem in der heutigen Welt viel zu wenig Zeit und Beachtung geschenkt wird. Das Gehirn braucht aber solche Auszeiten und profitiert davon.
Spaziergänge sind im Kontext von Flow in zweifacher Hinsicht relevant. Zum einen gelingt es bei einem guten, möglichst gleichmäßigen Geh-Rhythmus oft, beim Spazierengehen selbst in einen Flow-Zustand zu kommen. Zum anderen sind regelmäßige, selbst schon kurze Spaziergänge gute Vorbereitungen für Flow, denn sie geben dem Lernorgan die Möglichkeit, in angenehmer Aktivierung aufzuräumen und dabei Gedanken, die Flow verhindern könnten, abzulegen.
Übungen für die Praxis
Die folgenden zwei Übungen können Sie alltagsintegriert umsetzen – in der Klasse oder auch allein für sich. Bei allen Übungen gilt: Ihr Effekt stabilisiert sich, wenn Sie sie regelmäßig machen. Wichtig ist außerdem, dass Sie dabei Ablenkungen minimieren, auch solche, die vom Smartphone verursacht werden könnten.
Übung Zeitlupe
Der Alltag ist umtriebig und oft fällt es uns gar nicht leicht, zur Ruhe zu kommen, um konzentriert an etwas arbeiten zu können. Die Übung »Zeitlupe« hilft dabei, aus der Hektik heraus- und in einen ruhigen, fokussierten Arbeitsmodus hineinzukommen. Vor dem Bearbeiten einer Aufgabe bereitet man in der Regel die dafür nötigen Materialien vor, zum Beispiel das Englischbuch, einen Marker, das Laptop. Anstatt diese Vorbereitung eilends zu treffen, werden sie bei »Zeitlupe« bewusst langsam ausgeführt. Die Geschwindigkeit sämtlicher Bewegungen wird maximal gedrosselt. Das kann zu Beginn etwas befremdlich sein, aber es entschleunigt und bringt Ruhe und Fokus in das eigene Tun.
Übung: Lächle dich glücklich
Glück bedeutet, häufiger positive als negative Emotionen zu empfinden. Glückserleben ist gut für die Gesundheit, unter anderem weil es das Level des Stresshormons Cortisol dämpft. Glückliche Menschen sind außerdem erfolgreicher und zeigen ein höheres Aktivierungslevel – gute Voraussetzungen für Flow-Erleben.
Die »smile yourself happier«-Strategie ist einfach umzusetzen: Man schenkt sich selbst ein Lächeln. In populärwissenschaftlichen Publikationen wird diese Strategie nicht selten als äußerst wirkungsvoll bezeichnet. Das mag ein bisschen übertrieben sein, aber Forschungsarbeiten belegen tatsächlich positive Effekte, und zwar besonders dann, wenn man sich öfter einmal ein Lächeln schenkt. Dann akkumuliert sich die positive Wirkung.
Zum Weiterlesen
Lesetipp
Der aktuelle Ratgeber Happy Learning – Glücklich und erfolgreich Sprachen lernen (München: Hueber) zeigt, wie wir erfolgreich (Sprachen) lernen können, und zwar so, dass persönliche Stärken auf- und ausgebaut und mögliche Ängste und Hemmungen abgebaut werden. Er enthält viele erprobte Übungen für den Unterricht, aber auch solche, die Lernende selbst oder zusammen mit Freunden und Eltern umsetzen können. Der Ratgeber erklärt, wie die Übungen funktionieren und warum. Dabei gibt er spannende Einblicke in alltagsrelevante Forschung (Didaktik, Neurowissenschaften, Psychologie).
Sambanis, Michaela; Ludwig, Christian: Happy Learning – Glücklich und erfolgreich Sprachen lernen. Hueber, 2024.
Sambanis, Michaela; Ludwig, Christian: Besser lernen mit Bewegung. In: Weiterbildung. Zeitschrift für Grundlagen, Praxis und Trends, 2/2024, S. 18-20.
Streets, Anabel: 52 Ways to Walk. The surprising Science of Walking for Wellness and Joy, One Week at a Time. Bloomsbury, 2023.
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