In der Grundschule werden grundlegende Lern-, Arbeits- und Sozialformen sowie mathematische, sprachliche und sachunterrichtliche Kompetenzen vermittelt. Die Kinder lernen schon im frühen Alter, wie sie Neues selbst entdecken und sich Wissen aneignen können. Um das Lernen zu lernen, brauchen sie Zeit, Anregungen und Material. Hierfür bietet die Grundschule in Nordrhein-Westfalen vielfältige unterrichtliche und außerunterrichtliche Möglichkeiten.
Zentral ist dabei die individuelle Förderung. Jedes Kind ist bei der Einschulung auf seinem eigenen Niveau. Verschiedene soziale Umfelder und individuelle vorschulische Erfahrungen resultieren in Kindern mit ganz eigenem Fähigkeitsprofil. Sie verfügen über individuelle Talente, die es zu entdecken und zu fördern gilt. Der Blick der Lehrerinnen und Lehrer auf die Besonderheiten ihrer Schülerinnen und Schüler ist daher besonders gründlich. Wie genau diese individuelle Förderung vonstatten geht und mit welchen Mitteln sie ergänzt werden kann, ist hier nachzulesen.
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Praxisbeispiele
Schulen mit besonderen Schwerpunkten
In Nordrhein-Westfalen entscheiden sich viele Schulen, auch Grundschulen, dazu, inhaltlich einen besonderen Schwerpunkt zu setzen, zum Beispiel im sprachlichen, kulturellen, musikalischen, naturwissenschaftlichen oder sportlichen Bereich. Dies ermöglicht es Kindern, eine Schule zu besuchen, die zu ihren besonderen Talenten passt und diese intensiv fördert.
Europaschulen, UNESCO-Projektschulen, Kulturschulen
Europaschule
Um den Zusatz »Europaschule« führen zu dürfen, müssen Schulen besondere Standards der interkulturellen Zusammenarbeit erfüllen. Nach einem Zertifizierungsverfahren werden geeignete Schulen durch die »Arbeitsgemeinschaft Europaschulen (ARGEUS)« im Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Gütesiegel für fünf Jahre zertifiziert. Wenn die Schulen die Kriterien weiterhin erfüllen, können sie nach diesem Zeitraum rezertifiziert werden.
Weitere Informationen zu Europaschulen in NRW gibt es auf dieser Website. Beispiele:
Katholische Grundschule Passstraße, Aachen
Gilden-Europa-Grundschule, Dortmund
Eine Liste aller Europaschulen in Nordrhein-Westfalen ist hier zu finden.
UNESCO-Projektschulen
UNESCO-Projektschulen gibt es in 182 Ländern. Sie arbeiten in einem Netzwerk zusammen und verankern in ihren Schulprofilen, ihren Leitbildern und ihrer pädagogischen Arbeit die Ziele und Werte der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur.
Die rund 300 UNESCO-Projektschulen in Deutschland setzen sich für Frieden, Weltoffenheit und nachhaltige Entwicklung ein und sind Impulsgeber zur Erreichung der UNESCO Agenda Bildung 2030.
Allgemeine Informationen zu den UNESCO-Projektschulen gibt es auf dieser Website. Informationen zu UNESCO-Projektschulen in Nordrhein-Westfalen sind hier zu finden. Zwei Beispiele:
Kulturschulen
Schulen in Nordrhein-Westfalen, die einen künstlerisch-kulturellen Schwerpunkt haben, werden von der Arbeitsstelle Kulturelle Bildung NRW beraten, begleitet und unterstützt. Sie ist eine gemeinsame Einrichtung mehrerer Institutionen:
- des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW,
- des Ministeriums für Schule und Bildung NRW,
- des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW,
- der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und
- des Landes NRW.
Zwei Beispiele für Grundschulen mit kulturellem Schwerpunkt:
MINT-freundliche Schulen und digitale Schulen
MINT-freundliche Schulen und Schulen mit Fokus auf Naturwissenschaften
Die Auszeichnung »MINT-freundliche Schule« der Initiative MINT Zukunft schaffen erhalten Schulen, die den Entwicklungsschwerpunkt auf eine nachhaltige Verbesserung des Unterrichts in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik legen. Die »MINT-freundlichen Schulen« stehen unter der Schirmherrschaft der Kultusministerkonferenz (KMK). Es können sich Schulen aller Schulformen bewerben.
Eine Übersicht aller nordrhein-westfälischen Schulen mit gültigem Zertifikat gibt es auf dieser Website.
Drei Beispiele für »MINT-freundliche Schulen« und Schulen mit Fokus auf Naturwissenschaften und Mathematik der Schulform Grundschule in NRW finden sich hier:
Smart School
Der Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, Bitkom, zeichnet allgemein- und berufsbildende Schulen mit dem Zertifikat »Smart School« aus, die digitales Lernen und digitale Bildungsangebote beispielhaft in die Realität umsetzen. Eine »Smart School« erfüllt diese drei Kriterien:
- Digitale Infrastruktur: flächendeckendes WLAN, Smartboards, VR-Brillen, digitalisierte Schulverwaltung, digitale Endgeräte für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte.
- Pädagogisches Konzept und Unterrichtsinhalte, die auf digitales Lernen abgestimmt sind.
- Lehrkräftefortbildung zu Themen des digitalen Unterrichts.
Informationen zum Konzept gibt es auf dieser Website. Alle Schulen im deutschen »Smart School-Netzwerks« sind hier zu finden. Beispiele für Grundschulen in NRW:
Digitale Schule
Die Initiative MINT Zukunft schaffen verleiht Schulen aller Schulformen für vielfältiges Engagement in der Verwendung digitaler Medien die Auszeichnung »Digitale Schule«. Für die Auszeichnung können sich alle Schulen aller Schulformen bewerben. Informationen zur Bewerbung gibt es auf dieser Webseite.
Eine Übersichtsseite aller Schulen in NRW mit der Auszeichnung »Digitale Schule« findet sich hier.
Einige Beispiele:
Städtische Grundschule Mühlenberg, Arnsberg
Rechtliche Grundlagen
Individuelle Förderung
Da individuelle Förderung die zentrale Leitidee des Schulgesetzes in NRW ist, erstellt jede Schule ein eigenes Konzept, das die dazu erforderlichen Organisationsformen, Maßnahmen und Angebote beschreibt. Lehrkräfte bereiten einen auf die Kompetenzen jedes Kindes abgestimmten Unterricht vor. Auch Kinder mit besonderen Begabungen bekommen von Anfang an eine individuelle Förderung, um gute Lernfortschritte zu erzielen. Die Lehrkräfte tauschen sich dazu intensiv aus und arbeiten häufig in multiprofessionellen Teams mit Erzieherinnen und Erziehern, sozialpädagogischen Fachkräften und Lehrkräften für Sonderpädagogik zusammen.
In NRW sind die Eckpunkte zur individuellen Förderung in einem Rahmenkonzept (Schulgesetz NRW unter anderem § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 11, § 50 Abs. 3) festgelegt. Für die Ausgestaltung in den Schulen ist die Erfahrung der Lehrkräfte ebenso wichtig wie die spezifische Situation einer Schule in Bezug auf Lernumgebung, soziale Zusammensetzung der Schülerschaft und lokale Voraussetzungen. Ein Konzept, wie Begabungs- und Hochbegabtenförderung am Ort der Schule aussehen soll, wird daher von den Beteiligten unter Nutzung der Rahmenvorgaben vor Ort erstellt.
Ziel der Arbeit ist auch die Integration einer systematischen Förderung in den Unterricht. Dazu gehören für besonders leistungsstarke Schülerinnen und Schüler bestimmte Formen der Förderplanung dazu, wie auch der Umgang mit Underachievement. Mit der Erstellung einer individuellen Förderplanung soll es ermöglicht werden, die Potenziale der Schülerinnen und Schüler zu finden, ihre Stärken herauszustellen, Schwierigkeiten abzubauen und Herausforderungen anzubieten.
Vorzeitige Einschulung
Kinder, die schon vor Eintritt ihrer Schulpflicht die für den Schulbesuch erforderlichen körperlichen und geistigen Voraussetzungen erfüllen, können in Nordrhein-Westfalen vorzeitig eingeschult werden. Eltern richten hierfür einen formlosen Antrag an die aufnehmende Grundschule. Die Entscheidung zur vorzeitigen Einschulung trifft die Schulleiterin oder der Schulleiter nach eingehender Beratung mit den Eltern und gegebenenfalls unter Berücksichtigung eines amtsärztlichen Gutachtens (Schulgesetz NRW § 35 Abs. 2). Die Schulpflicht beginnt für Kinder, die bis zum Beginn des 30. September das sechste Lebensjahr vollendet haben, am 1. August desselben Kalenderjahres.
Vorzeitige Versetzung
Eine Schülerin oder ein Schüler wird nach Maßgabe der Ausbildungs- und Prüfungsordnung in der Regel am Ende des Schuljahres in die nächsthöhere Klasse oder Jahrgangsstufe versetzt, wenn die Leistungsanforderungen der bisherigen Klasse oder Jahrgangsstufe erfüllt sind. Eine Vorversetzung ist möglich, wenn eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der höheren Klasse oder Jahrgangsstufe zu erwarten ist. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung sieht vor, dass Übergänge in die nächsthöhere Klasse oder Jahrgangsstufe auch ohne Versetzung möglich sind. Kinder können eine Klasse überspringen (Schulgesetz NRW § 50, Abs. 1).
Jahrgangsübergreifender Unterricht
Schülerinnen und Schüler können nach Entscheidung der Schulkonferenz ab der 1. Klasse in jahrgangsübergreifenden Gruppen unterrichtet werden (Schulgesetz NRW § 11 Abs. 2-4). Dies bedeutet, dass sie gemeinsam im Lerngruppen unterrichtet werden, denen Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen angehören. Talentierten Schülerinnen und Schülern wird auf diese Weise der Zugang zum Lernangebot höherer Jahrgänge ermöglicht.
Eindrücke aus der Begabungsförderung – Im Gespräch mit Annette Hellmann
Annette Hellmann, ehemalige Schulleiterin an der Grundschule Amshausen in Steinhagen, beantwortet Fragen zur Begabungsförderung an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen im Allgemeinen und zu konkreten Maßnahmen der Begabungsförderung an ihrer früheren Schule. Das Gespräch fand statt, als Annette Hellmann noch Schulleiterin an der Grundschule Amshausen war. Die Schule beteiligt sich an der Initiative Leistung macht Schule und ist Referenzschule im Netzwerk Zukunftsschulen NRW.
Welche besonderen Herausforderungen stellen sich Grundschulen bei der Förderung von Begabungen?
Die Grundschule ist eine echte Gesamtschule – wohl die Schulform mit der größten Heterogenität.
Bei der Einschulung beträgt die Altersbandbreite bis zu zwei Jahre (zum Beispiel bei Einschulung eines Kindes, das im Sommer erst fünf Jahre alt wird und eines Kindes, das Anfang Oktober den siebten Geburtstag feiert), die Entwicklungsbandbreite umfasst aber oft sogar drei oder vier Jahre.
Es sitzen begabte Kinder mit großen Erwartungen an das Lernen und ihre persönlichen schulischen Herausforderungen neben Kindern, die noch hohe Entwicklungsbedarfe im körperlichen, im sozial-emotionalen Bereich oder im Bereich der intellektuellen Entwicklung haben. Die Anforderungen an Lehrkräfte, jedem Kind in der Lernentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung gerecht zu werden, sind gerade zu Beginn der Schulzeit extrem hoch. Da fällt es nicht leicht, die begabten Kinder in dieser großen Vielfalt zu identifizieren und ihren Bedürfnissen immer gerecht zu werden.
Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um die Herausforderung der Begabungsförderung zu meistern?
Im Bewusstsein der enormen Heterogenität in Grundschulklassen hat unsere Schule schon Anfang dieses Jahrhunderts entschieden, jahrgangsgemischte Eingangsklassen einzurichten und den gesamten Unterricht in Jahrgangsteams vorzubereiten, um eine große Vielfalt an Materialien bereitstellen und nutzen zu können, aber auch um von den unterschiedlichen Kompetenzen und Arbeitsschwerpunkten der Lehrkräfte profitieren zu können.
Die Lehrkräfte wollen die Vielfalt in ihren Klassen als Chance begreifen und sie für das gemeinsame Lernen nutzen, indem jedes Kind in einem Umfeld gegenseitiger Rücksichtnahme und Anerkennung so viel lernt, wie es zu lernen vermag.
Die unterschiedlichen persönlichen Neigungen und Fähigkeiten der Kinder erfordern in fast allen Bereichen des Unterrichts Maßnahmen innerer Differenzierung und Individualisierung. Aufgrund von fortlaufender Lernstands-Beobachtung und gezielter Diagnose muss jedes Kind seinen Fähigkeiten gemäß gefördert und gefordert werden. Deshalb werden in die tägliche Unterrichtsarbeit von vornherein Lernstand-Screenings und darauf aufbauend Lernangebote auf unterschiedlichem Niveau eingeplant. Die Lehrerinnen und Lehrer fungieren als Lernbegleiter und Lernberater. Jedes Kind soll durch differenzierten und individualisierten Unterricht und ein anregungsreiches Lernumfeld nachhaltig gefördert werden und Techniken eigenverantwortlichen und selbstgesteuerten Lernens erwerben.
Dabei ist es uns nicht nur wichtig, Schülerinnen und Schüler mit Lernrückständen oder besonderen Lernproblemen zu fördern, sondern auch gleichzeitig Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen zu fordern.
Begabte Kinder sollten möglichst früh identifiziert werden, um Unterforderung und Frustrationen von Anfang an zu vermeiden und Lernfreude zu wecken oder zu erhalten.
Kinder werden mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen eingeschult. Welche Strukturen sind an Ihrer Schule verankert, die eine Umsetzung der individuellen Förderung und Begabungsförderung vor diesem Hintergrund ermöglichen? Wie kann man besonders begabte Schülerinnen und Schüler (im Unterricht) erkennen?
Bei der Schulanmeldung erhalten die Eltern unter anderem einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung des Entwicklungsstandes ihres Kindes und eine Einladung zu unserer Elternschule.
Schon jetzt bitten wir die Eltern um eine Einverständniserklärung zum Informationsaustausch mit allen an der Entwicklung und Erziehung des Kindes beteiligten Institutionen. Zu diesem Zeitpunkt wird nicht nur der Kontakt zum Kind aufgebaut, sondern anhand spielerischen Materials ein erster Eindruck vom allgemeinen und besonders vom mathematischen Entwicklungsstand des Kindes erworben. Nach der Anmeldung – für einige Kinder jedoch schon eher – wird der Kontakt zur Kita intensiviert.
Im Januar wird an »Schulspielnachmittagen« der individuelle Entwicklungsstand der Kinder in den unterschiedlichen Schulfähigkeitsbereichen überprüft. In einer anschließenden Konferenz werden die Ergebnisse auch zum Arbeits- und Sozialverhalten besprochen und mit der Elterneinschätzung sowie den Informationen aus der Kita verglichen. Entwicklungsdefizite oder -vorsprünge (Vermutung einer besonderen Begabung) werden dokumentiert und als Grundlage für ein zeitnahes Elternberatungsgespräch genutzt, in dem anhand einer schriftlichen Lern- und Förderempfehlung (zweifach für Eltern und Kita) Förder-Forder-Möglichkeiten aufgezeigt werden. Kinder erhalten dazu bei Bedarf eine »Lerntüte« mit spielerischem Fördermaterial.
Die weitere Begleitung erfolgt in engem Kontakt zu den Erzieherinnen und Erziehern und wird durch Hospitationen von Lehrkräften in der Kita ergänzt. In einer gemeinsamen Übergabekonferenz wird der aktuelle Entwicklungsstand jedes Kindes genau beleuchtet. Die Ergebnisse der Eingangsdiagnostik, der laufenden Förderung und der amtsärztlichen Untersuchung geben oft noch weiteren Anlass zu intensiver Zusammenarbeit.
Im jahrgangsübergreifenden Lernen wird früh eine Individualisierung des Lernprozesses angestrebt. Lehrerinnen und Lehrer müssen dafür die Kinder in ihrem aktuellen Entwicklungsstand und ihrer Gesamtpersönlichkeit im Blick behalten und ihren Lernprozess individuell begleiten, beraten und fördern. Dafür steht den Kolleginnen und Kollegen von Beginn an eine ganze Bandbreite von Analyse- und Beobachtungshilfen zur Verfügung. Der jeweilige Lernstand eines Kindes, Zeitpunkt und Ergebnisse von Lernzielkontrollen und Förderhinweise werden in einem Beobachtungssystem festgehalten.
In den ersten beiden Schulwochen wird ein weiteres kleines Screening durchgeführt. Hinweisen auf besondere Begabungen wird mit Elterngesprächsbögen, Beobachtungsbögen zu Teilbereichen der Schulfähigkeit oder Interessen-Fragebögen nachgegangen. Beobachtungen durch Förderlehrkräfte in den Klassen und Hospitationen der früheren Erzieherinnen und Erzieher sichern besondere Fordermaßnahmen ab. Nach weiterer gezielter Testung werden individuelle Forder-/Förderpläne erstellt. Dabei beachten wir, dass Kinder, die schon das Lesen und Schreiben beherrschen, sich von vornherein an den älteren Mitschülerinnen und Mitschülern der höheren Jahrgangsstufe orientieren.
Begabte Kinder sollen möglichst so viel leisten, wie sie zu leisten vermögen. Dazu gehört an unserer Schule unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung:
- Förderung von Lernstrategien – Entwicklung von Lernkompetenz allein und in der Gruppe
- Wahrnehmung und Entwicklung von Interessen – eigene Zielentwicklung
- Leistungsmotivierung – Selbststeuerung
- Herausforderung von Begabung – Expertise-Erwerb
- Lernangebote für hochbegabte Kinder: qualitativ angereicherte und komprimierte Angebote (Compacting) / besondere Zusatz-Angebote (Enrichment) / beschleunigtes Lerntempo (Akzeleration)
Fortsetzung des Gesprächs mit Annette Hellmann
Sie können auf eine langjährige Erfahrung im Bereich der Begabungsförderung blicken. Die Grundschule Amshausen ist Netzwerkschule im Rahmen des Projekts »Zentren Begabtenförderung NRW«. Welchen besonderen Entwicklungsschritt haben Sie aus der 3-jährigen Teilnahme gewonnen? Und was können Sie anderen Schulen daraus mitgeben?
Nachdem viele Jahre lang ein großer Teil der diagnostischen Arbeit und der Beratung von Kindern, Eltern und Kolleginnen und der Organisation besonderer Angebote für begabte Kinder in meiner Verantwortung lag, sind nun noch einmal mehrere Kolleginnen und unsere Schulsozialarbeiterin grundsätzlich fortgebildet worden und konnten ihr Wissen auf eine breitere Basis stellen. Dieses führte dazu, dass das gesamte Kollegium noch einmal an einer Leitbilderweiterung (hinsichtlich Benachteiligung und Beeinträchtigung im Zusammenhang mit Begabung) gearbeitet hat.
Die Grundschule Amshausen nimmt auch an der Bund-Länder-Initiative »Leistung macht Schule« teil. Mit welchem Ziel haben Sie sich zur Teilnahme beworben und welche Wirkung hat die Arbeit in dem Projekt?
Für unser Team ist es besonders wichtig, in Zusammenarbeit mit der Universität Trier unterschiedliche Aufgabenformate zu entwickeln, die eine gut handhabbare Möglichkeit bieten, begabte Kinder zu identifizieren und entsprechend zu fördern.
Was zeichnet Ihre Schule im Bereich der Begabungsförderung (über die Teilnahme im Projekt LemaS hinaus) besonders aus? Welche weiteren Angebote und Maßnahmen nutzen Ihre Schülerinnen und Schüler bei der Entfaltung ihrer Potenziale in besonderer Weise?
Das breit gestreute Angebot an Arbeitsgemeinschaften an unserer Schule dient schon seit langer Zeit der Förderung besonderer Begabungen und Neigungen. Begabte Kinder können innerhalb des Unterrichts »Expertenaufgaben« wählen, die sie je nach Vermögen auch in unserer Forscherwerkstatt ausarbeiten können, um Interessen und eigene Ziele zu entwickeln.
Seit vielen Jahren können wir in jedem Schuljahr parallel zum Unterricht mehrere Angebote für begabte Kinder (ab Klasse 2) im »Drehtür-Modell« durch Expertinnen und Experten ermöglichen. Einige Beispiele:
- Französisch, Spanisch oder Japanisch (durch Muttersprachlerinnen und Muttersprachler oder Dolmetscherinnen und Dolmetscher)
- Geschichte, Biologie, Philosophie oder auch Mathematik durch wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität Bielefeld
- Naturwissenschaften durch Mitarbeiterinnen der biologischen Station Bielefeld/Gütersloh
- Programmieren durch einen Informatiker
Unsere Expertinnen- und Expertenangebote bereichern und ergänzen seit vielen Jahren unser schulisches Lernen und Arbeiten enorm. Jedes Jahr nehmen rund 40 Kinder an diesen Angeboten im Drehtür-Modell teil und können so ihren unterschiedlichen persönlichen Neigungen und Fähigkeiten nachgehen und erleben ganz neue Könnenserfahrungen in der Schule.
Expertenarbeiten (ab Klasse 3 individuell möglich, in Klasse 4 für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend) fordern die Kinder auf besondere Weise. Kinder arbeiten über etwa sechs Monate intensiv an einem selbst gewählten Thema, wie zum Beispiel Planeten – Gesteine – Altes Ägypten – Haustierrassen – Ritter – Germanen – Meeressäuger – Tageszeitung – Lego. Die Interessen der Kinder sind unglaublich breit gestreut.
Die Kinder recherchieren in Bibliotheken und im Internet, erwerben besondere Strategien und verfassen schließlich eine schriftliche Arbeit, die schon den Anforderungen an spätere wissenschaftliche Arbeiten nahe kommt. Diese Arbeiten umfassen Inhaltsverzeichnis, Vorwort, Einleitung, gegliederten Hauptteil, Schluss und Literaturverzeichnis und werden einem größeren Publikum in einem freien Vortrag, zum Beispiel in Pausenreferaten vorgestellt.
Bei erwartungswidrigen Leistungen einer Schülerin oder eines Schülers spricht man von »Underachievement«. Wie diagnostizieren Sie diese Schülerinnen und Schüler? Und was tun Sie bei Verdacht auf Underachievement?
Durch unser breit gestreutes Diagnostik- und Beobachtungsinstrumentarium (zum Beispiel auch mBET) und in regelmäßigen intensiven Lerngesprächen mit dem Kind erkennen wir auch Underachiever relativ schnell. Anschließend suchen wir die Gründe für diese verminderte Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft in enger Zusammenarbeit mit Kindern, Eltern, Schulsozialarbeiter oder Schulsozialarbeiterin, mit Beratungslehrkräften, Lerncoach und der Bildungs- und Schulberatung. Je nach aktueller Lage werden dann unterschiedliche Förderschwerpunkte festgelegt, die in Lernverträge mit dem Kind münden, die klare Aufgaben (zum Beispiel Entwicklung von Lernstrategien) und Ziele definieren und regelmäßige Reflexionsgespräche festlegen.
Für eine differenzierte schulische Begabungsförderung ist der fachliche Anspruch an die pädagogische Arbeit von Lehrkräften hoch. Wo finden Lehrkräfte qualifizierte Fortbildung und Unterstützung?
Im Kreis Gütersloh gibt es seit Einrichtung des Arbeitskreises »Besonders begabte Kinder«, in dem erfahrene Lehrkräfte mit Schulpsychologen und Schulpsychologinnen zusammenarbeiten, ein recht umfassendes Fortbildungsangebot, das mehrere Module umfasst. Die Mitglieder des Arbeitskreises bieten darüber hinaus Einzelfallberatung und Unterstützung auch über längere Zeiträume an. An unserer Schule sind bereits drei Kolleginnen am lif in Münster zu Expertinnen für Individuelle Förderung ausgebildet worden.
Nicht nur Lehrkräfte, auch Eltern und Schülerinnen und Schüler suchen Rat und Unterstützung bei ihren persönlichen Fragen zur Begabungsförderung. Wo finden sie professionelle Beratung? Welche Ansprechpartner und Anlaufstellen gibt es?
Erste Adresse ist bei uns die Arbeitsgruppe »Besonders begabte Kinder« Kreis Gütersloh, die Bildungs- und Schulberatung des Kreises Gütersloh und natürlich auch der Kreis der schulfachlichen Beraterinnen und Berater im Regierungsbezirk Detmold. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Beratungsstellen verschiedener Träger, die sich um die Entwicklung von Erziehungs- und Lernstrategien auch bei Underachievement kümmern. Die Universität Bielefeld bietet im Netzwerk Begabungsförderung OWL (Zusammenarbeit mit der DGhK - Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind, Regionalverein OWL e.V.) weitere Bausteine an.
Und wie sieht die Förderung außerhalb der Schule aus? Welche Förderangebote und außerschulischen Lernorte sind für NRW charakteristisch? Welche Kooperationen haben sich für Ihre Schule bewährt?
Mit den Angeboten Kolumbus-Kids und dem Mitmach- und Experimentierlabor teutolab der Universität Bielefeld, die andere Universitäten in ähnlichen Formaten bieten, dem Mint-Mitmach-Tag des zdi Zentrum pro MINT GT, KinderUnis an Universitäten und Volkshochschulen, der »Ravensberger Erfinderwerkstatt« der Aktion Klima! Mobil und auch Angeboten der DGhK finden begabte Kinder ganz unterschiedliche Anregungen. Ergänzungen bieten auch unterschiedliche Wettbewerbe.
Im Kontext der Debatte um die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern gewinnt das selbstregulierte Lernen im schulischen Kontext zunehmend an Relevanz. Welche Voraussetzungen und welche Strategien für selbstreguliertes Lernen sind aus Ihrer Sicht erforderlich?
Das Selbstkonzept eines Kindes entwickelt sich schon vor der Einschulung, das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeitserwartungen bestimmen die Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und damit maßgeblich den Lernerfolg mit. Kinder können aber nur Selbstwirksamkeit erfahren, wenn man ihnen auch Leistung und Bewältigung von Aufgaben zutraut und ihnen nicht alles abnimmt. Die Annahme und das Überwinden von Herausforderungen aus eigener Kraft – sowohl Unterforderung als auch Überforderung sollte vermieden werden – stärken die Erfolgszuversicht und damit das Gelingen des nächsten Lernschrittes. Die ermutigende individuelle Lernbegleitung, die Selbsteinschätzung des Kindes und damit die Verdeutlichung der individuellen Fähigkeiten und Fortschritte im Gespräch – ohne den Vergleich mit der Klassen-Bezugsgruppe – fördern das selbstregulierte Lernen.
An unserer Schule trainieren wir mit den Kindern regelmäßig die grundlegenden exekutiven Funktionen. Die darauf aufbauende Einübung von Strategien selbstgesteuerten und kooperativen Arbeitens und Lernens ist fest im schulischen Curriculum verankert.
Herzlichen Dank, Frau Hellmann.