Das Immunsystem der Seele
Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen, gewinnt angesichts derzeitiger gesellschaftlicher Entwicklungen und Krisen an Bedeutung. Als sogenanntes Immunsystem der Seele ermöglicht sie es, Herausforderungen zu bewältigen und sich neuen Situationen anzupassen. Bereits im Kindes- und Jugendalter spielt sie eine Rolle: Unausweichliche Herausforderungen können zum Beispiel die Einschulung, eine schwierige Klassenarbeit oder die Ablösung vom Elternhaus sein. Viele dieser sogenannten Risikofaktoren gehören jedoch zum Leben dazu und können nicht vermieden werden, mehr noch: Sie gelten als wichtige Entwicklungsaufgaben. Für einige Heranwachsende kommen zusätzliche Risikofaktoren wie Armut, traumatische Erfahrungen wie Kriegserlebnisse oder Konflikte im Elternhaus hinzu. Ob eine Herausforderung als belastend wahrgenommen wird, hängt von der individuellen Bewertung und den vorhandenen Ressourcen ab. So kann eine Klausur entweder als zu meisternde Herausforderung oder aber als schwer zu bewältigendes Hindernis bewertet werden.
Lena Sielemann und Stephanie Apresjan
Prinzipien der Resilienzförderung
Die erfolgreiche Bewältigung von etwaigen Herausforderungen wird durch sogenannte Schutzfaktoren begünstigt. Diese puffern mögliche Belastungen ab. Schutzfaktoren können das Auftreten von Herausforderungen oder Risikofaktoren zwar nicht verhindern, sie schützen aber vor damit einhergehendem psychischem Schaden. Wie diese Schutzfaktoren aussehen und wie sie gefördert werden können, bildet unter anderem Inhalt der Resilienzforschung.
Grundsätzlich gelten für die Resilienzförderung folgende Prinzipien:
- Nichts wirkt sofort: Veränderung braucht Zeit. Wie bei einem Muskel kann auch die Resilienz besser durch kontinuierliches Beanspruchen als durch kurze, intensive Übungsphasen wachsen.
- Beziehung und Bindung: Zentrale Faktoren für eine gestärkte Persönlichkeit sind Beziehungen und Bindungen zu Bezugspersonen. Die größte Bedeutung nimmt dabei die Familie ein. Aber auch in der Schule spielen Beziehungen eine wichtige Rolle. Stabile und vertrauensvolle Beziehungen sind wichtiger als jede Förderung.
- Vorbildfunktion: Heranwachsende schauen sich viele Verhaltensweisen und Einstellungen von erwachsenen Bezugspersonen ab. Resilienzförderung für Heranwachsende geschieht auch über Ihre eigene resiliente Grundhaltung.
Ziel der Resilienzförderung ist nicht, mehr auszuhalten. Im Vordergrund stehen der Schutz und die Stärkung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens. Dies kann auch bedeuten, belastende Situationen bewusst zu verlassen und sich aktiv gegen ein Aushalten zu entscheiden. Außerdem entsteht Resilienz nicht allein durch individuelles Handeln, sondern immer in Abhängigkeit zum Umfeld. Dieses trägt die Verantwortung, vermeidbare Risikofaktoren, wie zum Beispiel Mobbing in der Schule, erst gar nicht entstehen zu lassen.
Checkliste: Resilienzfördernde Schule gestalten
In der Schule, aber auch in der außerschulischen Bildung, können Sie Resilienz bei Kindern frühzeitig und gezielt fördern. Dabei müssen verschiedene am Schulsystem beteiligte Personen auf unterschiedlichen Ebenen eingebunden werden:
Schule
- Klares Schulkonzept, in dem Resilienzförderung verankert ist.
- Gefühl der Zugehörigkeit für Heranwachsende und deren Eltern schaffen, zum Beispiel über Mitwirkung und Gestaltung von Schulalltag und Veränderungsprozessen.
- Netzwerkaufbau und Kooperation mit Unterstützungsangeboten, zum Beispiel Schulberatungs- und Erziehungsberatungsstellen.
Bezugspersonen und Eltern
- Zusammenarbeit mit Bezugspersonen etablieren, bevor Probleme entstehen.
- Niedrigschwellige Einzelberatungsangebote auch außerhalb von Elternsprechtagen anbieten.
Pädagogische Fachkräfte
- Gutes Verhältnis von Lehrenden und Lernenden als kompensatorische Beziehung für Heranwachsende, die keine Bezugspersonen im häuslichen Umfeld haben.
- Resilienz der pädagogischen Fachkräfte um die Vorbildfunktion zu erfüllen.
Klasse
- Klare konsistente Regeln.
- Vermittlung einer zuversichtlichen Grundhaltung, zum Beispiel Einsatz individueller Bezugsnormen, Vermittlung eines Growth Mindset, Erfolge auf lernförderliche Ursachen wie zum Beispiel Anstrengung, Motivation und Durchhaltevermögen zurückführen.
- Angemessene und klar kommunizierte Leistungserwartungen (gegebenenfalls individuelle Absprachen treffen) und Gestalten der Erreichbarkeit von Erfolgen durch machbare Aufgabenstellung.
- Positive Peer-Kontakte aktiv fördern.
Schülerinnen und Schüler
- Resilienzförderung von Schülerinnen und Schülern.
Die Resilienzförderung einzelner Schülerinnen und Schüler kann über das Stärken von Schutzfaktoren mithilfe verschiedener Übungen erfolgen. Die folgenden Methoden können sowohl im Einzelsetting als auch mit Gruppen, zum Beispiel im Klassenkontext, durchgeführt werden.
Drei Methoden zum Thema
Selbstreflexion für Lehrende
Reflexion zur Selbstwirksamkeitserwartung: richtig loben
Selbstwirksamkeit bezeichnet das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit und das Vertrauen darin, dass man Herausforderungen des Lebens eigenständig bewältigen kann. Lob als Feedbackmechanismus kann helfen, Selbstwirksamkeit von Heranwachsenden zu fördern und Erfolge auf eigene Handlungen, Anstrengung und Bemühung zurückzuführen.
Richtig loben ist gar nicht so einfach. Die folgenden Tipps können Ihnen helfen, »richtig« zu loben:
- Loben auf allen Ebenen: Die Bedeutung eines Lobs hängt auch von Tonlage, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik ab.
- Nur ein echtes Lob ist ein gutes Lob: Ein Lob sollte ehrlich und authentisch sein und für Dinge ausgesprochen werden, die tatsächlich lobenswert gehalten werden.
- Nicht nur Ergebnisse loben: Nicht immer führen Anstrengung und Mühe zu einem gewünschten Ergebnis. Wichtig ist es, auch die Anstrengungsbereitschaft Heranwachsender zu loben. Zum Beispiel: »Ich finde es toll, wie sehr du dich angestrengt hast!«.
- Viel hilft nicht immer viel: Zu viel Lob verliert an Bedeutung und wird nicht mehr wahrgenommen. Besser ist gezieltes Loben.
- Anerkennung statt Lob: Für selbstverständliches Verhalten ist ein »Danke« angemessener als wiederholtes Loben.
Reflektieren Sie:
- Wofür und wie haben Sie das letzte Mal gelobt?
- Wie hat die Person reagiert?
- Wie hat sich das Loben für Sie angefühlt?
Reflexion zur Stärkung der eigenen Resilienz: Anerkennung eigener Leistungen
Menschen neigen dazu, sich selbst kaum Anerkennung zu schenken, eigene Bemühungen und Leistungen werden oft übersehen.
Worauf können Sie stolz sein? Gab es besondere Erfolge oder haben Sie Leistungen, Anstrengungen oder Bemühungen erbracht, die bislang nicht ausreichend gewertschätzt wurden?
Belohnen Sie sich dafür ausgiebig mit Worten, schönen Aktivitäten, dem Erfüllen von Wünschen u.a. Achtung: Pausen sind keine Belohnungen, sondern selbstverständlich!
Fortbildungen
Auf fobizz, einem digitalen Fortbildungszentrum für Lehrkräfte, bieten Stephanie Apresjan und Lena Sielemann die Möglichkeit, Resilienzförderung mit Hilfe ihrer Fortbildungen zu vertiefen.
Zum Weiterlesen
Gräßer, M., Hovermann, E., Botved, A.: Therapie-Tools. Ressourcenmalbuch für Kinder und Jugendliche. Weinheim: Beltz, 2020.
Kriebs, Simone: Resilienz in der Schule. Wie Kinder stark werden. Junfermann, 2019.
Penz, Mareike: Resilienz stärken: Mit effektiven Übungen Selbstwirksamkeit und Widerstandsfähigkeit trainieren. Verlag an der Ruhr, 2022.
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München: Resilienzförderung in der Schule. Aktive Gesundheitsvorsorge durch praktische Übungen zur Förderung der psychischen Widerstandskraft. 2021. Zur Handreichung.
Wustmann Seiler, Corinna: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Cornelsen, 2018.
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Hybrider Lernraum
Das Thema »Resilienz lehren und lernen« ist Teil des Hybriden Lernraums. Hier finden Sie für Ihre Arbeit in Schule oder an außerschulischen Lernorten Methoden, Informationen und Praxistipps aus Wissenschaft und Praxis – als Texte, Podcasts, Videos oder Workshops.
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