Aus dem Alltag einer psychologischen Beratungsstelle
Das Hoch-Begabten-Zentrum Rheinland (HBZ) ist eine Beratungsstelle mit Testdiagnostik, die deutschlandweit arbeitet. Sie berät Kinder, Jugendliche und ihre Familien, begleitet vorschulische Einrichtungen, Schulen und andere Institutionen in der Begabungsförderung und entwickelt Fördermaßnahmen und Fortbildungen.
Die Angebote richten sich nicht nur an hochbegabte Kinder und Jugendliche, sondern nehmen die Vielfalt der Talente in den Blick. Begabungen müssen in vielen Fällen zunächst einmal gefunden werden. Dabei unterstützt das HBZ Eltern, Lehrkräfte und Bildungspraktikerinnen und Bildungspraktiker. Um anschließend entsprechend der individuellen Fähigkeiten fördern zu können, müssen Fördermaßnahmen entwickelt und angeboten werden.
Lisa Bleckmann
Diplom-Psychologin und Systemische Familientherapeutin am Hoch-Begabten-Zentrum Rheinland, Brühl
info@hoch-begabten-zentrum.de +49 2232 501010 Zur WebsiteIm Gespräch mit Lisa Bleckmann
Im Hoch-Begabten-Zentrum Rheinland arbeiten Diplom-Psychologinnen und Diplom-Psychologen, die über spezielle Qualifikationen im Bereich der (Hoch-)Begabtendiagnostik, -beratung und -förderung verfügen. Sie führen, wenn dies angeraten ist, auch Intelligenztests durch. Wann diese sinnvoll sein können und welche Fragen darüber hinaus wichtig sind, lesen Sie im Interview, das wir mit der Psychologin Lisa Bleckmann geführt haben. Sie erzählt im Gespräch, was den Arbeitsalltag in einer Beratungsstelle ausmacht, welche Beratungsanliegen Eltern haben und ab wann frühestens getestet werden sollte.
Umfassende Informationen zu Beratung mit und ohne Testdiagnostik finden Sie auf dieser Themen-Seite des Begabungslotsen:
»Nicht einfach einen Stempel aufdrücken«
Frau Bleckmann, als psychologische Beraterin unterstützen Sie Eltern im Finden und Fördern besonderer Begabungen. Was passiert, wenn ich mich als Elternteil an Sie wende, weil ich vermute, dass mein Kind besonders begabt ist?
In der Regel nehmen Eltern zunächst telefonisch Kontakt zu uns auf. Eine unserer Psychologinnen oder ein Psychologe versucht dann, das Anliegen zu konkretisieren und das weitere Vorgehen zu erläutern. In den meisten Fällen machen wir dann drei Termine aus: einen für das ausführliche Vorgespräch, einen für die Testdiagnostik mit dem Kind und einen für die Beratung. Im Vorgespräch werden die Entwicklungsgeschichte des Kindes, alle Besonderheiten sowie mögliche Problemstellungen besprochen. Bei der anschließenden Testung wird das Kind an verschiedene Denkaufgaben herangeführt. Je nach Alter variieren der Schwierigkeitsgrad und der Umfang dieser Aufgaben natürlich sehr. In der Beratung wird den Eltern das Testverfahren vorgestellt, die Ergebnisse werden erläutert und eingeordnet. Anschließend überlegen unsere Psychologin oder unser Psychologe und die Eltern gemeinsam, was die Ergebnisse bedeuten – und wie es nun weitergehen kann. Bei Bedarf besteht die Möglichkeit, dass sich der Psychologe oder die Psychologin mit Erzieherinnen und Erziehern oder Lehrkräften austauscht.
Gibt es typische Beratungsanliegen?
Häufig geht es um Unterforderung in der Schule oder im Kindergarten, verbunden mit Langeweile oder störendem Verhalten. Die Frage nach einer frühzeitigen Einschulung oder einem Klassensprung wird uns ebenfalls oft gestellt. Auch psychosomatische Beschwerden oder ein ungünstiges Lern- und Arbeitsverhalten trotz einer vermuteten guten Begabung sind immer wieder Themen, die Eltern interessieren.
Kommen nur Gymnasiastinnen und Gymnasiasten zu Ihnen oder Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulformen?
Viele Kinder werden uns bereits in der Kindergarten- oder Grundschulzeit vorgestellt. Aus den weiterführenden Schulen bilden die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten den größeren Anteil. Aber zum Glück finden auch Hauptschülerinnen und Hauptschüler den Weg zu uns, die es vielleicht bisher noch nicht geschafft haben, ihr Potenzial in schulische Leistung umzusetzen. Wir wollen uns nicht nur auf das Thema Hochbegabung festlegen, sondern sind generell Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Thema Begabung. Selbstverständlich gibt es auch an anderen Schulformen begabte und hochbegabte Kinder und Jugendliche. Unser Förderprojekt »Bildungschance – Get Started« richtet sich zum Beispiel gezielt an Haupt-, Real- und Gesamtschülerinnen und -schüler, die ihre Begabungen bisher noch nicht vollständig in Leistung umsetzen konnten – sogenannte Underachiever.
Gibt es Anzeichen, die Hinweise auf eine mögliche Hochbegabung geben können?
Es zeigt sich in der Forschung immer wieder, dass Hochbegabte bezüglich ihrer anderen Eigenschaften ganz unterschiedlich sein können. Es gibt also nicht die typischen Merkmale eines hochbegabten Kindes. Hinweise auf eine mögliche überdurchschnittliche Begabung kann es aber schon geben. So sind kluge Kinder häufig in der Lage schnell Zusammenhänge zu verstehen und zeigen ein hohes Lerntempo. Sie sind neugierig und wissbegierig und haben Freude an intellektuell herausfordernden Aktivitäten. Auch ein gutes Gedächtnis und ein breit angelegtes Wissen deuten auf eine gute kognitive Entwicklung hin. Häufiger finden sich auch ein stark ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit und kritisches Denken. Routineaufgaben lassen eher Langeweile aufkommen, während selbst gestellte Aufgaben oft sehr beharrlich verfolgt werden. Der eigene Anspruch ist teilweise höher und es können sich auch perfektionistische Züge zeigen.
Haben Eltern bei Ihnen die Möglichkeit, einen Intelligenztest ihres Kindes in Auftrag zu geben?
Es ist uns sehr wichtig, dass wir nicht einfach nur einen Test durchführen, um dem Kind mit dem Ergebnis einen Stempel aufzudrücken. Salopp formuliert: Einfach mal zu gucken, wie schlau das Kind denn eigentlich ist – das lehnen wir ab. Wenn ein Kind klarkommt, glücklich ist und gute Leistungen erbringt, ist es aus unserer Sicht nicht notwendig, den IQ-Wert zu ermitteln. Erst wenn sich Probleme abzeichnen oder das Kind unzufrieden ist, raten wir zu einem Test. Natürlich gibt es auch besorgte Eltern, die eine ungünstige Entwicklung befürchten, wenn sie nicht frühzeitig ansetzen. Diese Sorgen kann man ihnen oft bereits am Telefon oder in einem Beratungsgespräch nehmen.
Wenn ein Test sinnvoll erscheint – ab wann sollte denn frühestens getestet werden?
Wir testen im Hoch-Begabten-Zentrum Kinder ab 4 Jahren. Es gibt auch Testverfahren für jüngere Kinder, unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass es zu einem früheren Zeitpunkt noch schwierig sein kann. Die Testverfahren sind zwar spielerisch und sehr interaktiv aufgebaut, aber trotzdem muss das Kind eine Weile mitarbeiten und sich auf die Situation einlassen. Grundsätzlich gilt, dass die Ergebnisse bei sehr jungen Kindern noch keine stabilen Werte darstellen und sicherlich auch noch mehr die Tagesform und die Motivation in die Ergebnisse reinspielen, da Kindergartenkinder oft noch sehr lustbetont und verspielt sind. Es ist eher als Entwicklungsstand zu verstehen, die Intelligenz kann sich in beide Richtungen noch weiterentwickeln. Bei der Frage der vorzeitigen Einschulung macht es aber manchmal Sinn schon im Kindergartenalter zu testen. Es bietet sich aber dann an, erst zu testen kurz bevor eine Entscheidung benötigt wird.
Können sich auch Lehrende mit einer Vermutung auf eine besondere Begabung eines Schülers oder einer Schülerin an Sie wenden?
Lehrkräfte und Erzieherinnen oder Erzieher dürfen keine Kinder bei uns anmelden, da hierzu das Einverständnis der Eltern erforderlich ist. Aber häufig raten die Bildungsinstitutionen den Eltern zu einem Termin in unserer Einrichtung und arbeiten im Anschluss auch mit uns zusammen. Gerne können sich Lehrerinnen und Lehrer wie auch Erzieherinnen und Erzieher mit allgemeinen Fragen oder aber in anonymer Form mit spezifischen Fragen zu einem Kind an uns wenden.
Welche Begabungsbereiche kann ein Test bei Ihnen erfassen?
Es gibt natürlich sehr verschiedene Begabungsbereiche. Die intellektuelle Begabung ist nur eine unter vielen. Auch im musikalischen, künstlerischen und sportlichen Bereich gibt es sehr begabte Menschen. Wir haben uns in unserer Einrichtung aber auf die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes spezialisiert. Diese unterteilen sich je nach Testverfahren in Teilbereiche wie verbale, numerische und logisch-abstrakte Fähigkeiten. Auch das Arbeitsgedächtnis oder die Verarbeitungsgeschwindigkeit werden in einigen Verfahren überprüft.
Wie umfangreich ist so ein Test?
Das hängt vom Alter und der Art des Testverfahrens ab. Mit den ganz Kleinen arbeiten wir ungefähr eine Stunde an den Aufgaben, bei Jugendlichen kann eine Diagnostik schon einmal zwei bis drei Stunden dauern.
Was kostet ein Test und wer übernimmt gegebenenfalls die Kosten?
Die Kosten für ein Erstgespräch, die anschließende Testdurchführung und Diagnostik, ein Beratungsgespräch und eventuelle Gespräche mit Lehrkräften oder Erzieherinnen und Erziehern belaufen sich auf 330 Euro. Diesen Betrag bezahlen die Eltern. Es ist uns sehr wichtig, dass jeder, der Rat braucht – unabhängig von seiner finanziellen Situation – zu uns kommen kann. Daher gibt es bei uns eine Sozialklausel, nach der die Kosten stark vermindert werden können. Auch eine Ratenzahlung ist individuell vereinbar.
Und wie erreichen Sie Eltern, die gar nicht auf die Idee einer besonderen Begabung ihres Kindes kommen?
Immer wieder kommen Familien zu uns, die von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern oder Kinderärzten auf die Idee gebracht wurden, sich bei uns vorzustellen. Daher arbeiten wir eng mit diesen Einrichtungen zusammen. Darüber hinaus haben wir neben unserer Einzelfallhilfe als weiteren Aufgabenschwerpunkt verschiedene Förderprojekte. Im Projekt »Bildungschance« wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fördergruppe zum Beispiel von den Lehrkräften vorgeschlagen. So können wir Schülerinnen und Schüler von Haupt-, Real- und Gesamtschulen für unsere Fördergruppen gewinnen, unabhängig von der Einschätzung der Eltern. Auch in unserem Grundschulfördermodell – eine innerschulische Begabtenfördermaßnahme für leistungsstarke und motivierte Grundschulkinder der dritten und vierten Klasse – werden die Kinder durch Lehrkräfte nominiert.
Frau Bleckmann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!